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Demokratie – Ende oder Anfang?

 
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Eberndorfer



Anmeldungsdatum: 10.09.2006
Beiträge: 2267

BeitragVerfasst am: Do Jul 31, 2008 2:36 pm    Titel: Demokratie – Ende oder Anfang? Antworten mit Zitat

Demokratie – Ende oder Anfang?
von Frank A. Meyer

Rudolf Augstein hat seinen Spiegel einst als "Sturmgeschütz der Demokratie" bezeichnet. Jetzt fürchtet das Blatt um seine Festung: "Die These, dass nur Demokratien auf Dauer ökonomisch erfolgreich sein können, scheint widerlegt. Hat das westliche Freiheitsmodell abgewirtschaftet?" So fragt der Spiegel bang in der fünften Folge einer groß inszenierten Serie, über die er auch noch den Titel setzt: "Der Boom der Diktatoren".

Dem langen, sorgenvollen Text sind zwei Bilder vorangestellt. Das eine: Strammstehende Uniformierte in der Halle des soeben eröffneten Pekinger Flughafens. Das andere: Kunterbunte Demonstranten gegen den Ausbau des Frankfurt Airport.

Das Fazit ist dem geneigten Betrachter auf einen Blick klar: In der Diktatur geht alles, in der Demokratie nichts – für die Wirtschaft! So simpel sehen es auch viele deutsche Wirtschafsführer, wenngleich sie sich einstweilen noch nicht offen dazu bekennen. Der Spiegel zitiert in seiner Serie anonym einen "bekannten deutschen Unternehmer" mit der Sentenz: "Wir sind nicht erfolgreich wegen der Demokratie, sondern trotz der Demokratie."

So ist das also: Die Demokratie behindert das Unternehmertum. Sie ist ein untaugliches Vehikel für den globalisierten Kapitalismus. Ganz im Gegensatz zum chinesischen Kommunismus, dem sich die Ideologen der entfesselten Marktwirtschaft inzwischen fast schon symbiotisch verbunden fühlen.

Aber lässt sich Demokratie überhaupt am wirtschaftlichen Erfolg messen? Hat sie versagt, wenn ein autoritäres System schnellere und höhere Renditen verspricht?

Die Jeremiade über ökonomische Defizite der Demokratie ist sehr deutsch, und sie ist derzeit eines der großen deutschen Themen: In Ruck-Reden und Ruck-Büchern wird Demokratie-Bashing betrieben, von Altbundespräsident Roman Herzog bis zu Hans Herbert von Arnim, Professor an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, der die Direktwahl des Bundespräsidenten fordert. Man hätte es gern wieder etwas autoritärer: Mehr Führung! Weniger Gerangel um Interessen! Weniger Gezänk der Parteien! Weniger Kompromisse!

So kann man demokratische Politik natürlich auch darstellen: als wirkungsloses Wirken in einer Welt, die doch der entschlossensten Entschlossenheit bedürfte. Ist die Demokratie für die Deutschen also wieder einmal eine fragwürdeige Angelegenheit?

Demokratie lag dem Besitzbürgertum in der deutschen Geschichte noch nie am Herzen. Unter der wilhelminischen Bürokratie- und Militär-Monarchie genügte ihm die wirtschaftliche Macht. Vor der politischen machte der Besitzbürger brav den Kratzfuß, wenn sie ihn nur reichlich verdienen ließ.

Auch Weimar – die erste deutsche Demokratie – war nicht besitzbürgerlichem Engagement entsprungen, schon gar nicht einer freisinnigen Revolte: Das Bürgertum links der Mitte hatte sie ausgerufen, allen voran die Sozialdemokraten. Gegen die wilhelminischen Wirtschaftseliten, die erst einmal misstrauisch beiseitestanden – und dann zu Feinden wurden.

Mit den Nazis verstand sich das Wirtschaftsestablishment trefflich. Endlich wurden die politischen Störenfriede abgeräumt – die ganze demokratische "Bagage", wie Dolfi sich auszudrücken beliebte. Und wer nun ganz auf das Regime setzte, der erhielt Zwangsarbeiter zugewiesen – billig wie Wanderarbeiter, die heute jubelnden Westunternehmern in China zugetrieben werden.

Auch das letzte Kapitel der deutschen Demokratiegeschichte schrieb nicht die Gesellschaftsschicht, die sich heute so gern als bürgerliche Elite geriert. Parlamentarismus und moderner Rechtsstaat wurden der Bundesrepublik nach der Befreiung 1945 kurzerhand verordnet, von den westlichen Siegermächten.

Ab dann ging’s aufwärts. Demokratiewunder und Wirtschaftswunder im deutschen Gleichschritt – soziale Marktwirtschaft, auch Rheinischer Kapitalismus genannt. Aus diesem Erfolg entwickelte sich eine fatal falsche Sicht der Demokratie: Sie galt den Deutschen als Staatsform wirtschaftlicher Effizienz. Letztlich also widerrufbar, sollte sie diese Leistung einmal nicht mehr garantieren – oder sollte eine andere Staatsform effizienter scheinen, zum Beispiel eine Diktatur.

Genau bei diesem Vorbehalt setzen die Demokratiekritiker in den Chefetagen und auf den Lehrstühlen an: "Seht, China ist besser!" Auch das autoritäre Russland wird schon genannt. Und die arabischen Emirate. Wo immer die Albert Speers der Postmoderne ihre futuristischen Skylines hochziehen, wo immer der Profit mit derselben Rasanz folgt, dementiert ein autoritäres El Dorado die Demokratie.

Doch Demokratie ist nicht an ein bestimmbares wirtschaftliches Ziel gebunden. Demokratie ist die Struktur, ist die Form – ist das Instrument, mit dem die Demokraten ihre Vorstellungen verwirklichen, politisch, kulturell und auch wirtschaftlich. Demokratieverächter machen die Geige für die Musik verantwortlich, den Laptop für den Inhalt der Festplatte.

Diese Verwechslung verbreiten die neuen Wirtschaftspotentaten sowie ihre professoralen und publizistischen Etagenkellner mit Bedacht: Sie huldigen so ihrem Heiligen Friedrich August von Hayek (1899 bis 1992). Der Prophet des Neoliberalismus verachtete die Demokratie: Sie sei "ein durch das Erpressungs- und Korruptionssystem der Politik hervorgebrachtes System", nichts als ein "Wortfetisch".

Chinas Kommunisten folgen nicht mehr Marx, sondern von Hayek. Doch wie lange noch stehen die Arbeiter in den Werkhallen von Schanghai stramm? Wie lange noch halten die Ingenieure in den Entwicklungsbüros von Schenzhen den Mund? Wie lange noch scheuen die Wissenschaftler in den Universitäten von Peking die Politik?

Demokratie am Ende? Demokratie am Anfang!


Frank A.Meyer ist Journalist. Zuletzt erschien "Der lange Abschied vom Bürgertum", ein Gespräch mit Joachim Fest und Wolf Jobst Siedler (wjs verlag Berlin)

http://www.cicero.de/97.php?ress_id=1&item=2674
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