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Neuer Tigersprung ?

 
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admin



Anmeldungsdatum: 22.07.2004
Beiträge: 2346

BeitragVerfasst am: Mo Apr 18, 2005 7:44 am    Titel: Neuer Tigersprung ? Antworten mit Zitat

Asiens Märkte expandieren – und wachsen zusammen. Die boomende Region könnte in Zukunft die europäischen und nordamerikanischen Ökonomien abhängen

Der neueste wirtschaftliche Ausblick des Internationalen Währungsfonds, der Mitte vergangener Woche in Washington vorgestellt wurde, enthielt wie erwartet gute und schlechte Nachrichten: Über Europas Konjunktur ziehen sich dunkle Wolken zusammen, in Tokio ist alle Euphorie längst verflogen, aber Lateinamerika und vor allem Asien – Japan ausgenommen – wachsen kräftig weiter. Mehr noch: sollte zwischen Rio Grande del Norte und den großen Seen das vielbeschworene Kartenhaus aus Leistungsbilanzdefizit, hochgetriebenen Immobilienpreisen und tendenzieller Überschuldung der Privathaushalte zusammenbrechen, könnte sich Asien zum Rettungsanker der Weltwirtschaft entwickeln.


Abstand wird kleiner

Oder zumindest zu einem kleinen Rettungsring mit ungewisser Tragkraft, denn trotz des rasanten Wachstums der letzten Jahre hat das Volumen der Volkswirtschaften Ost-, Südost- und Südasiens noch lange nicht den Umfang der Ökonomien des Euro-Raumes oder Nordamerikas angenommen. 2002 betrug das Bruttosozialprodukt (BSP) dieser Staatengruppe, in der über die Hälfte der Weltbevölkerung lebt, rund 3,4 Billionen US-Dollar. Das klingt zwar beeindruckend, entspricht aber nur ziemlich genau der Wirtschaftsleistung Deutschlands und Frankreichs mit ihren gemeinsam rund 142 Millionen Einwohnern.

Der Unterschied zwischen der deutschen und französischen Wirtschaft auf der einen und den asiatischen Ökonomien auf der andere Seite ist jedoch, daß letztere fast ausnahmslos kräftig wachsen und ihren Abstand zum Norden verkleinern, wie die jüngsten Zahlen der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) zeigen: Während die Weltwirtschaft 2004 so stark wie seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr wuchs, aber Westeuropa weit hinter dem Trend zurückblieb, legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den meisten Entwicklungsländern in Fernost zum Teil weit über dem hohen Durchschnitt zu. Spitzenreiter waren Myanmar (Burma) mit 12,6 Prozent und die Mongolei mit 10,6 Prozent. Letztere hat jedoch erst 2004 so richtig mit dem Wirtschaftswachstum losgelegt, in Myanmar steigt das BIP hingegen schon seit Ende der 1990er Jahr für Jahr jeweils im zweistelligen Bereich. Selbst Indonesien, bevölkerungsreichstes Land Südostasiens und zugleich Sorgenkind der Region, weil es ihm unter allen Mitgliedern der Allianz Südostasiatischer Staaten (ASEAN) am schwersten fällt, sich von der tiefen Wirtschaftskrise der Jahre 1997/98 zu erholen, legte noch um 5,1 Prozent zu und bildete damit schon fast das Schlußlicht. Nur im hochindustrialisierten Japan, das dem übrigen Asien in seiner Entwicklung um einige Jahrzehnte voraus ist, sah die Lage deutlich finsterer aus. Aber das ist ein gänzlich anderer Fall; das Land wird deshalb hier ausgenommen, wenn von Asien die Rede ist.


Regionale Integration

Beachtenswert an dem Zahlenmaterial der in Manila ansässigen Entwicklungsbank ist zweierlei. Zum einen das hohe Wirtschaftswachstum: Mit 7,3 Prozent im regionalen Mittel war 2004 das beste Jahr seit der Asienkrise, aber kein ungewöhnlicher Ausreißer. Die Krise hatte 1997 und 1998 einige der südost- und ostasiatischen Schwellenländer wie Indonesien, Südkorea und Thailand schwer durchgeschüttelt, die beiden größten Ökonomien China und Indien aber fast ungeschoren gelassen. Entsprechend hat das Wirtschaftswachstum in der Region schon seit längerem wieder zu seinen hohen Raten zurückgefunden. Vom Platzen der Dot-Com-Blase im Jahre 2000 waren nur einige wenige asiatische Staaten wie Singapur und Taiwan betroffen, die wegen ihrer hohen Abhängigkeit von der Halbleiterbranche (Singapur) bzw. vom Geschäft rund um den PC (Taiwan) in eine kurzfristige Rezession fielen.

Zum anderen sind am Zahlenwerk der Banker aus Manila zwei Aspekte von besonderem Interesse, die die asiatischen Volkswirtschaften insgesamt betreffen: Der wachsende intraregionale Handel und die ungewöhnliche Stärke der Binnenmärkte. Das Wachstum war überall oder fast überall von einer starken Inlandsnachfrage begleitet. Sowohl der Konsum als auch insbesondere die Investitionen nahmen stark zu, was insofern erwähnenswert ist, als die Wirtschaftspolitik in der Region meist dem neoliberalen Dogma der (ausschließlichen) Exportorientierung folgt. Aber neben diesem scheint nun in den größeren Ländern auch der Binnenmarkt zu einem wichtigen Wachstumsmotor zu werden. Darauf und auf der moderaten Inflation begründen die Banker bei der ADB denn auch ihren Optimismus. Sie gehen davon aus, daß trotz abflauender Weltkonjunktur in den kommenden beiden Jahren das asiatische Wirtschaftswachstum bei über sechs Prozent liegen wird. Asien – gemeint ist immer Asien ohne den Vorderen Orient, Japan und Rußland – hat also gute Chancen wie schon in den letzten 15 Jahren (im Falle Chinas schon seit 25 Jahren), den Abstand zu Westeuropa und Nordamerika weiter zu verkleinern.

Aufgehalten werden könnte dieser Trend nur durch einen größeren Einbruch in den Industriestaaten, die als Abnehmer asiatischer Waren für die Region immer noch eine wichtige, wenn auch in den letzten Jahren etwas zurückgegangene Bedeutung haben. Neben der großen Verbrauchernachfrage in den USA hatte nämlich vor allem Chinas boomende Industrie für die Beflügelung der asiatischen Konjunktur gesorgt. Allein 2004 nahm der Warenaustausch zwischen den asiatischen Staaten um rund 28 Prozent zu, während die Summe aller Exporte nur um 25 Prozent wuchs, woran eine Verschiebung zugunsten des intraregionalen Handels abzulesen ist. Insbesondere die Rohstoffexporteure profitierten von Chinas Heißhunger auf Erze, Erdöl, Holz und Vorprodukte aller Art. Indien hat sich zum Beispiel 2004 zu Chinas wichtigstem Eisenerzlieferanten entwickelt, eine Position, die bisher Brasilien eingenommen hatte. Nicht nur der Preis für Erdöl, sondern auch der für die meisten Erze bewegt sich derzeit aufgrund der starken Nachfrage in der Nähe historischer Höchststände.

Mit dem verstärkten Warenaustausch gehen auch eine gegenseitige wirtschaftliche Durchdringung der asiatischen Staaten und diverse grenzüberschreitende Infrastrukturprojekte einher. Indien plant zum Beispiel die Errichtung eines West-Ost-Verkehrskorridors nach Südostasien, China hingegen baut Straßen-, Schienen- und Flußverbindungen (auf dem Mekong) nach Laos, Thailand, Kambodscha und Myanmar aus. Das goldene Dreieck im Norden Thailands, wegen seiner Abgelegenheit einst ein Dorado des Opiumanbaus, hat sich längst zu einer Drehscheibe des Warenaustauschs mit China entwickelt. Während von dort immer mehr Geschäftsleute und Händler den Mekong hinunterkommen, haben thailändische Firmen sich längst in die langen Reihen ausländischer Investoren eingereiht, die ihr Geld in der KP-regierten Volksrepublik anlegen wollen. 34 Milliarden US-Dollar haben Unternehmen aus den zehn ASEAN-Mitgliedsländern bereits im Norden in Fabrikanlagen und andere Geschäfte gesteckt, ein nicht unwesentlicher Teil davon kommt aus Thailand mit seiner großen, aber überwiegend assimilierten chinesischen Minderheit.


Nachholende Entwicklung

Dank des schnellen wirtschaftlichen Aufschwungs konnten erhebliche finanzielle Rücklagen gebildet werden. Gemeinsam hatten die asiatischen Staaten – wohlgemerkt ohne Japan – Ende 2004 1,62 Billionen US-Dollar an Devisenreserven angehäuft. Allein 1,1 Billionen davon befinden sich im Besitz der Länder, die in der Region »Greater China« genannt werden: Hongkong, Taiwan, Singapur (rund 70 Prozent der Einwohner des Stadtstaates sind Chinesen, was einer der Gründe dafür war, weshalb Singapur 1965 aus der Malaysischen Union ausgeschlossen wurde) und die Volksrepublik China. Diese hat ihren Devisenschatz im letzten Jahr um rund 200 Milliarden US-Dollar auf 609 Milliarden vergrößert. Allerdings ist das Geld nicht nur in Dollar angelegt. In den Zahlen verstecken sich zum Teil auch Goldvorräte und vor allem die Bestände in anderen Devisen. Asiatische Zentralbanken haben 2004 begonnen, einen größeren Teil ihrer Reserven in Euro umzuschichten.

Unterdessen wirft die rasante Entwicklung in Asien die Frage auf, ob nicht doch unter bestimmten Bedingungen auch heute noch nachholende Entwicklung im Kapitalismus möglich ist. Vieles deutet darauf hin, daß die unangefochtene Stellung, die die Metropolen Europas seit 200 Jahren, und die USA nicht ganz so lange, in der Weltwirtschaft einnehmen, in den nächsten Jahrzehnten in Frage gestellt werden könnte.

Man kann dagegen einwenden, daß es bereits zuvor Staaten geschafft haben, für einige Zeit zu Europa aufzuschließen, dann aber wieder weit zurückfielen. Tragischstes Beispiel ist hierfür sicherlich Paraguay, das in einem fünfjährigen, von Gr0ßbritannien angestifteten Krieg von 1865 bis 1870 buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht wurde. Auch Argentinien und Uruguay brachten es im 20. Jahrhundert zu erheblichem Wohlstand, bevor sie Wirtschaftskrisen und Militärdiktaturen weit zurückwarfen.

Allerdings standen sie allein und hingen auf Gedeih und Verderb von ihren Exporten nach Europa und Nordamerika ab. In Asien sind die Verhältnisse etwas anders. Auch dort war bis zur Asienkrise vor sieben Jahren wie in Lateinamerika der Handel zwischen den Nachbarstaaten äußerst unterentwickelt, während die meisten Länder, vor allem in Ost- und Südostasien, im großen Maßstab in die Industriestaaten exportierten. In den vergangenen Jahren hat sich jedoch ein nachhaltiger Wandel vollzogen, den man derzeit mit einem Netz von regionalen Freihandelsabkommen zu untermauern versucht. Insbesondere beginnt der lang anhaltende Aufschwung Chinas (durchschnittliches Wirtschaftswachstum von jährlich fast zehn Prozent seit 25 Jahren) seit etwa zwei Jahren, eine spürbare Sogwirkung auf die Nachbarländer auszuüben.

Außerdem gibt es einige Staaten in Ostasien, die die Kapitalakkumulation bereits sehr weit getrieben haben und in manchen Branchen den Aufstieg in die globale erste Liga geschafft haben. Davon profitiert die ganze Region, denn diese vier kleinen Tigerstaaten haben sich bereits zu beachtlichen Kapitalexporteuren entwickelt.


Vorhut

Dabei sind diese Länder in mehrfacher Hinsicht historische Sonderfälle. Insbesondere die Stadtstaaten Singapur und Hongkong (bis 1997 britische Kolonie, seither autonome Einheit unter chinesischer Souveränität), weil sie nicht als klassische Industrieländer angesehen werden können, sondern eher als internationale Warenumschlagplätze und Standorte für regionale Konzernzentralen, Börsen und Banken groß wurden. Repressive Verhältnisse waren dabei recht nützlich, um die einst starken Gewerkschaftsbewegungen und kommunistischen Organisationen niederzuhalten. In Singapur ist zum Beispiel noch heute wie im benachbarten Malaysia das aus der britischen Kolonialzeit übernommene Gesetz über die innere Sicherheit (Internal Security Act, ISA) in Kraft, mit dem politische Gegner auf unbegrenzte Zeit ohne Anklage und Prozeß inhaftiert werden können.

Taiwan und Südkorea haben hingegen einen eher klassischen Industrialisierungsweg beschritten. Wie zuvor Deutschland, die USA oder zuletzt Japan konnten sie sich hinter hohen Zollmauern entwickeln und nach Herzenslust fremde Erfindungen kopieren, das Ganze in Ermangelung einer selbstbewußten heimischen Unternehmerschicht (einer nationalen Bourgeoisie, wie Marxisten sagen) von einer technokratischen Diktatur organisiert und zentralistisch geplant. Alles Instrumente, die heute – außer vielleicht der Diktatur – in Zeiten des allein seligmachenden freien Marktes als Teufelszeug gelten. Auch in den 1960ern und 70ern gestatteten die Herren der »freien Welt« in Washington, Paris, Bonn und London dieses Privileg nur wenigen. Taiwan und Südkorea hatten das Glück, daß sie an einer Front des kalten Krieges lagen und deshalb herausgeputzt werden sollten. Bis in die 1970er Jahre hinein war zum Beispiel Nordkorea weiter entwickelt als der Süden des geteilten Landes.


Eigenständige Entwicklung

Den benachbarten Philippinen zwangen die USA hingegen schon in den 1960er Jahren ein Freihandelsregime auf. Das Ergebnis: Heute ist das Land abhängig von US-Importen, hat kaum eine nennenswerte eigene Industrie, und alle Entwicklung der letzten 15 Jahre besteht vor allem im Aufbau arbeitsintensiver Betriebe mit geringer Fertigungstiefe, veralteten Maschinen und zu vernachlässigender Technologie- und Know-how-Entwicklung. Eine Industriestruktur, die zwar in Zeiten globaler Hochkonjunktur wie der jetzigen die makroökonomischen Daten recht passabel erscheinen läßt, aber die zugleich die Abhängigkeit verewigt und kaum zur nennenswerten Kapitalakkumulation im Inland führt.

Den Nachbarn Taiwan und Südkorea wurde hingegen in der gleichen Zeit Protektionismus gestattet, mit dessen Hilfe sie ihre Industrialisierung im Rekordtempo nachholen konnten. Skrupellose Diktatoren sorgten zusätzlich bis Ende der 1980er Jahre dafür, daß alle Ansätze gewerkschaftlicher Organisierung klein und damit die Löhne niedrig und die Ausbeutungsrate hoch gehalten wurden. Heute gehört Taiwans Halbleiter- und Computerindustrie zur Weltspitze und hat bereits mehrere Dutzend Milliarden Euro auf dem chinesischen Festland investiert. Südkoreas industrielle Flaggschiffe haben indes die Asienkrise 1997/98 zur überfälligen Umstrukturierung genutzt, wobei das eine oder andere Industriekonglomerat von der Bildfläche verschwand. Seine Werften lehren die europäische Konkurrenz schon seit Jahren das Fürchten, und Hyundai Motors, bei dem sich DaimlerChrysler gerade von seinem Zehn-Prozent-Anteil verabschiedet, ist in den Charts der Automobilkonzerne auf dem Weg nach oben. Erst kürzlich hat das südkoreanische Unternehmen die französische PSA (Citroën und Peugeot) vom Platz sechs verdrängt.

Vor allem haben die Südkoreaner und Taiwanesen ihren europäischen Konkurrenten eines voraus: Sie sind geographisch und insbesondere kulturell viel näher an den rasch expandierenden neuen asiatischen Märkten, besonders an denen Chinas, dessen Sprache die taiwanesischen Unternehmer zumeist sprechen und die Südkoreaner gerade lernen. Manches deutet daher darauf hin, daß sich in den kommenden Jahrzehnten die asiatischen Länder – mit oder ohne Japan – gegenseitig nach oben schrauben werden. Und wer weiß, vielleicht finden sich sowohl Europa als auch die USA unversehens am Rande einer Weltwirtschaft wieder, deren Puls in Ostasien schlägt. Ein Zustand, der in der Wirtschaftsgeschichte nichts Neues wäre, auch wenn er in den letzten 200 Jahren hierzulande in Vergessenheit geraten ist.
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