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Sarrazin-Weihrauch

 
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admin



Anmeldungsdatum: 22.07.2004
Beiträge: 2346

BeitragVerfasst am: Mo Dez 27, 2010 3:23 pm    Titel: Sarrazin-Weihrauch Antworten mit Zitat

Weihnachtsmärchen vom GröFAZ

Größenwahn und Selbstmitleid sind zwei Seiten desselben Charakters. »Ich hätte eine Staatskrise auslösen können«, prahlt Thilo Sarrazin schon in der Überschrift seiner Hymne auf sich selbst, die in der Weihnachtsausgabe der FAZ erschien. Die Angeberei geht in der Unterzeile munter weiter und führt geradewegs ins Gestammel: »Mein Buch hat sich bisher 1,2 Millionen Mal verkauft hat.« Das ist zwar ein Druckfehler, aber hier ist er genuin: Thilo Sarrazin plustert, pumpt und mandelt sich auf. Es ist die klassische Rhetorik der Versager, die Sarrazin verströmt: Ein gleichermaßen eingeschüchtertes wie hocherregtes Meerschweinchenmännchen hält eine Rede an die Nation.

»Oft werde ich gefragt, wie ich mich fühle als Autor eines gleichermaßen gefeierten wie geschmähten Sachbuchs, das in kurzer Zeit alle Verkaufsrekorde seit Erfindung der Verkaufsstatistik gebrochen hat.« So leitet Sarrazin einen Text ein, der geeignet ist, sogar die Selbstlobrekorde, die Wolf Biermann und Günter Grass aufgestellt haben, zu brechen: »Ein Teil von mir platzt vor Autorenstolz.« Was nicht geplatzt ist, schreibt so weiter: »Die Bundeskanzlerin eröffnete den Reigen und setzte mein Buch auf den Index, so wie es früher die Heilige Inquisition tat, indem sie erklärte, das Buch sei ›nicht hilfreich‹, und sie werde es auch nicht lesen. An die Stelle des Scheiterhaufens trat nach ihrer Planung die Verbannung aus der Bundesbank (...) Mit ein bißchen Michael Kohlhaas im Blut hätte ich eine Staatskrise herbeiführen können.«

Was Sarrazin in seinem anschwellenden Bocksgesang auf sich selbst nicht bemerkt oder vergessen hat: In der Woche, in der die Bundesregierung die Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke beschloß, hatten die deutschen Medien nur ein Thema: Sarrazin. Wie nützlich Sarrazin doch war – und aber unbedingt glauben wollte, die Welt drehe sich allein um ihn und sein Buch, zu dessen Titel »Deutschland schafft sich ab« mir nur einfiel: Immer diese leeren Versprechungen.

Sarrazins Phantomschmerzen aber lassen ihn eine »beispiellose Medienkampagne mit ihren verleumderischen Zügen« und »die Verbindung von Sozialneid und politischer Korrektheit« halluzinieren. Aus der für ihn offenbar tödlichen Beleidigung, trotz medialer Omnipräsenz von einigen souverän ignoriert zu werden, hat Sarrazin seine Schlüsse gezogen: »Zornig war ich nur kurze Zeit. (...) Statt dessen machte sich Verachtung in mir breit. Diese Verachtung sitzt mittlerweile tief.«

»Weh uns«, ruft Sarrazin aus, »Weh uns, wenn sich die Verhältnisse, in denen wir uns so behaglich und selbstgerecht aufgehoben fühlen, einmal zu unseren Ungunsten ändern sollten. Wir werden uns dann wundern über den überbordenden Opportunismus und die kriecherische Feigheit rings um uns.«

Interessant an diesem pathetischen Gratisaufschrei wäre allenfalls, auf wen sich das Sarranzinsche »uns« bezieht. Aus welchen Leuten rekrutiert sich jenes »wir«, auf das Sarrazin sich stützt?

Schenkt man Sarrazin Glauben, sieht seine Anhängerschaft so aus: »Die junge Frau indischer Herkunft, die mich an einem nebligen Novembermorgen auf dem Bahnsteig in Mannheim ansprach: Sie mache gerade das juristische Staatsexamen, ihre Eltern seien vor dreißig Jahren nach Deutschland gekommen, und die ganze Familie meine, ich hätte völlig recht. (...) Die junge Zugbegleiterin, die mir im ICE einen Kaffee brachte und sagte: ›Den gebe ich Ihnen aus als Dank für das Buch.‹ Es stellte sich heraus, daß ihr Vater aus Persien eingewandert ist. (...) Der junge Polizist, der mich am Frankfurter Hauptbahnhof ansprach und mich bat zu warten: Er eilte in die Buchhandlung und kam mit drei Büchern heraus, die ich bitte signieren solle – eins für seinen Chef, eines für ihn und eins für einen Kollegen. (...) Der Hauptschullehrer aus Mainz, der mich auf der Frankfurter Buchmesse ansprach. Er sei an einer Schule in der Mainzer Nordstadt, und es werde immer schlimmer. Die Berufsberaterin der Arbeitsagentur, die sich in Sindelfingen mein Buch signieren ließ. Ich solle mich nur nicht irre machen lassen, sie könne alles bestätigen.«

Undsoweiterundsofort, in jedem Fall aber gibt es Bestätigung und immer wieder Bestätigung, das Futter und Lebenselexier des Minderwertigkeitskomplexlers Thilo Sarrazin: »Endlos die Zahl der erbetenen Autogramme.« Und ein Stolz, den man als kindisch abtun könnte, wenn er nicht als verfolgende Unschuld hetzte und dabei den Ketzer simulierte. »99 Prozent aller für mich wahrnehmbaren Reaktionen sind positiv. Endlos ist die Zahl der Schüler, die sich unterwegs mit mir fotografieren lassen wollen, und endlos die Zahl der Autogramme, die ich auf Bahnsteigen und in Zügen immer wieder geben muß.«

Thilo Sarrazin ist endlich glücklich: 99 Prozent Zustimmung, ganz wie in der DDR, und Kinder, die sein Gesicht aus dem Fernsehn kennen, möchten sich mit ihm fotografieren lassen. In den Jahren 2002 bis 2009, als Sarrazin noch Berliner Senator für Finanzen war, hörte er vom Nachwuchs weniger Freundliches. Schon vierjährige Kitagänger sangen zu jener Zeit im Chor: »Die Kinder schrei’n, die Eltern flieh’n / Dahinten kommt der Sarrazin.«

Das wird bleiben – als Epitaph eines Mannes, der »eine Staatskrise hätte auslösen können«, so, wie er es den Lesern der FAZ erzählt hat, zu Weihnachten.

www.jungewelt.de
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