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Schweiz von der Rolle

 
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admin



Anmeldungsdatum: 22.07.2004
Beiträge: 2347

BeitragVerfasst am: Sa Apr 17, 2010 10:43 pm    Titel: Schweiz von der Rolle Antworten mit Zitat

Weltwirtschaftskrise hinterläßt auch im viertreichsten Land der Erde Spuren. Mit beginnender Erholung feiern die Vertreter des »Weiter so« fröhliche Urständ

Krise war lange Zeit etwas, das fernab stattfand. Die Schweiz galt als Hort der Stabilität. Diese Sonderrolle, die nicht zuletzt auf Bankgeheimnis und Nummernkonten beruht, wurde in den vergangenen Monaten in Frage gestellt. Der Schreck darüber steckt vielen Eidgenossen noch immer in den Knochen, auch wenn die Konjunkturprognosen inzwischen Besserung verheißen.

Auf den ersten Blick nimmt sich die Rezession in der Alpenrepublik geradezu bescheiden aus: Um 1,5 Prozent schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2009. Doch für die erfolgsverwöhnten Schweizer, die das vierthöchste Pro-Kopf-Einkommen der Welt aufweisen, war bereits das eine sehr unangenehme Erfahrung und der heftigste Rückgang seit 1975. Besonders betroffen waren Industrie und Außenhandel. Die Exporte brachen um 12,6Prozent ein und damit so stark wie seit 1944 nicht mehr – eine Folge der dramatischen Rezession in den Hauptabnehmerländern Deutschland, USA, Italien, Frankreich und Großbritannien. Die Handelsbilanz blieb nur deshalb positiv, weil die Importe mit 14,3 Prozent noch stärker zurückgingen.

Es traf vor allem Paradebranchen wie die Uhrenindustrie. Die setzte 22,3 Prozent weniger im Ausland ab und mußte sich mit einem Exportvolumen von 13,2 Milliarden Franken (9,2 Milliarden Euro) begnügen. Die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie verzeichnete aufs Jahr gerechnet Umsatzeinbußen von einem Fünftel bis zu einem Viertel. Eine Erholung ist nicht in Sicht: Noch im vierten Quartal 2009 gingen 6,7 Prozent weniger Aufträge ein, sank der Umsatz der Branche um 18,4 Prozent. Nach Angaben der Unternehmervereinigung Swissmen lag das Auftragsniveau der Industrie im Februar um 38 Prozent unter dem des Rekordjahres 2007 und die Kapazitätsauslastung bei mageren 77,5 Prozent, zehn Punkte unter dem langjährigen Durchschnitt. Erste Konsequenz war der Abbau von 27000 Arbeitplätzen. Ganz ungeschoren kam aber auch die Crème de la Crème nicht davon. Die 300 reichsten Bürger der Schweiz wurden 2009 um zehn Milliarden Franken ärmer. Sozialhilfe müssen sie deshalb nicht beantragen, ihnen bleiben nach diesem Verlust noch immer 449 Milliarden Fränkli.

Inzwischen verlieren einige Vertreter der Bourgeoisie wegen erster Anzeichen einer Konjunkturerholung bereits wieder die Bodenhaftung: »UBS-Ökonomen strotzen vor Optimismus«, titelte die Neue Zürcher Zeitung Ende März. Ausgerechnet die Ökonomen der Vermögensverwaltungssparte jener Schweizer Großbank, die allein 2008 im Derivatehandel satte 31,9 Milliarden Franken in den Sand gesetzt und den Branchenprimus an den Rand des Bankrotts gebracht hatte, träumen von 2,5 BIP-Wachstum im laufenden Jahr. Die Nationalbank hofft auf 1,5 Prozent und Credit Suisse, der zweite große Finanzkonzern des Landes, ganz bescheiden auf 0,9 Prozent. Zurückhaltender fällt die Einschätzung von Industriellenchef Johann N. Schneider-Ammann aus, der zeitgleich erklärte, daß sich die Schweizer Industrie dem Anschein nach »auf tiefem Niveau gefangen« habe.

Was das heißt, zeigen die Hiobsbotschaften aus diversen Konzernen. So schrumpft der Umsatz des Schaffhausener Industrieunternehmens Georg Fischer um 35 Prozent auf 2,9 Milliarden Franken. Unter dem Strich ergibt das einen Verlust von 238 Millionen Franken. Dank »Einsparungen« von 430 Millionen Franken ist das Betriebsergebnis laut Vorstandschef Yves Serra im zweiten Halbjahr positiv. Für die Belegschaft bedeutet das freilich die Streichung von 2300 Stellen. Der Textilmaschinenproduzent und Autozulieferer Rieter aus Winterthur machte in den vergangenen beiden Jahren insgesamt 614,2 Millionen Franken Miese. Hier sollen 4000 der 15500 Arbeitsplätze vernichtet werden, außerdem mußten die meisten Mitarbeiter Lohneinbußen hinnehmen.

Gerade noch schwarze Zahlen schreibt der weltgrößte moderne Sklavenhändler, der Zeitarbeitskonzern Adecco. Doch im Vergleich zum Vorjahr sank der Umsatz um 27 Prozent auf 14,8 Milliarden Euro. Der Gewinn brach um 98 Prozent ein. Noch übler erwischte es den Anlagenbauer Oerlikon, dessen Kapital auf fünf Prozent des Nennwertes abgeschrieben werden muß. Der mehrheitlich dem russischen Oligarchen Viktor Wekselberg gehörende Traditionskonzern ächzt nach der Übernahme des Maschinenbauers Sauer unter einer Schuldenlast von 2,5 Milliarden Franken.

Der Crash hat nicht nur in den Firmenbilanzen, sondern auch im Bewußtsein Spuren hinterlassen. »Die gefühlte Krise ist weit heftiger als die tatsächlich meßbare«, beschrieb Gerold Bührer die Stimmungslage. Während der Vorsitzende des Verbandes Economiesuisse die Wirtschaft aufrief, ihre Verantwortung wahrzunehmen und langfristige Ziele, Verläßlichkeit sowie Transparenz als wichtigste Tugenden pries, entdeckt die Sozialdemokratie den Antikapitalismus neu. Die auch der hiesigen Linkspartei teure »Wirtschaftsdemokratie« ist der zentrale Begriff im neuen Parteiprogramm. »Die Wirtschaftsmacht gehört in die Hände der Mehrheit, also der Arbeitnehmenden«, verkündet der Autor des neuen Programmentwurfs und ehemalige SP-Präsident Hans-Jürg Fehr.

Doch nicht nur die Sozialdemokraten geben sich plötzlich gewendet. Mit 66 zu 62 Stimmen bei 56 Enthaltungen empfahl das Parlament Mitte März dem Stimmvolk das vom Schaffhauser Kleinunternehmer Thomas Minder gestartete Volksbegehren gegen Abzockerei zur Annahme. Allerdings stellte es der Initiative gegen überhöhte Managerboni und -gehälter listig eine wirtschaftsfreundlichere Alternative zur Seite.

»Bern hat den Kopf verloren«, hatte der Chef der Schweizer Privatbankiers, Konrad Hummler, der Regierung im Februar wegen ihrer »Panik« nach dem Verkauf von Bankdaten mutmaßlicher Steuersünder vorgeworfen. Offenbar hat sich der »aufgescheuchte Hühnerhaufen« inzwischen wieder etwas gefangen. Von stabilen Verhältnissen ist man allerdings noch weit entfernt.
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