www.meidling-forum.at Foren-Übersicht www.meidling-forum.at

 
 FAQFAQ   SuchenSuchen   MitgliederlisteMitgliederliste   BenutzergruppenBenutzergruppen   RegistrierenRegistrieren 
 ProfilProfil   Einloggen, um private Nachrichten zu lesenEinloggen, um private Nachrichten zu lesen   LoginLogin 

Stürzte »Lehman Brothers« oder wurde nachgeholfen ?

 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen    www.meidling-forum.at Foren-Übersicht -> WIRTSCHAFT - FINANZ
Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  
Autor Nachricht
admin



Anmeldungsdatum: 22.07.2004
Beiträge: 2347

BeitragVerfasst am: Do Sep 10, 2009 1:05 pm    Titel: Stürzte »Lehman Brothers« oder wurde nachgeholfen ? Antworten mit Zitat

11. September der Wirtschaft
Ellen Brown

Ein Jahr nach dem Bankrott von »Lehman Brothers« am 15. September 2008 wird noch immer über den Zusammenbruch der Investmentbank gerätselt. Lawrence MacDonald, dessen Buch »A Colossal Failure of Common Sense« (zu Deutsch etwa: »Wenn der gesunde Menschenverstand komplett versagt«) im Juni 2009 erschienen ist, vertritt die These: Der Bank ging es im Kern nicht schlechter als anderen Großbanken an der Wall Street. »Lehman« sei einfach »eingeschläfert« worden. Fragt sich nur: Warum?

Der Bankrott von Lehman Brothers am 15. September 2008 wird allgemein als Wasserscheide betrachtet, die die Spielregeln für die Wall-Street-Banken grundsätzlich verändert hat, die angeblich »zu groß [sind], um zu scheitern«. Die Möglichkeit eines Bankrotts wurde ein für alle Mal ausgeschlossen; die Steuerzahler sollen weiterhin den Banken Geld hinterherwerfen müssen, wie korrupt, schlecht geführt und unwürdig diese auch immer sein mögen. Im April 2009 schrieb Dean Baker:

»Angeblich hat Geithner die Möglichkeit eines Bankrotts ausgeschlossen, denn als er gemeinsam mit Henry Paulson und Ben Bernanke im vergangenen Herbst versucht hat, Lehman Brothers untergehen zu lassen, ist das ziemlich danebengegangen. Natürlich muss man nicht den Weg eines unkontrollierten Bankrotts gehen, den Geithner und Co. im Fall Lehman eingeschlagen haben … [Aber] Geithner und seine Leute beharren darauf, es gäbe keine Alternative zu seinem Plan; wir müssen also weiterhin den Banken Hunderte Milliarden Dollar hinterherwerfen ... und die Banker, die die Wirtschaft kaputt gemacht haben, noch reicher machen.«

Lehman Brothers meldete am Montag, den 15. September 2008, Insolvenz an, tatsächlich fand am 11. September aber ein »Bombenanschlag« auf die Bank statt, als es zum schlimmsten Absturz des Aktienkurses kam und das Handelsvolumen den höchsten Stand vor dem Bankrott erreichte. Lehman-Chef Richard Fuld betonte, die 158 Jahre alte Bank sei durch unbestätigte Gerüchte und illegale ungedeckte Leerverkäufe abgeschossen worden. Leerverkäufe (short sales, d.h. der Verkauf von Aktien, die einem nicht gehören) sind zwar legal, der Short Seller muss den Kauf aber etwa durch Aktien absichern, um den Kontrakt notfalls ausgleichen zu können. Kann ein Verkäufer die Aktien nicht innerhalb der nächsten drei Handelstage zurückkaufen, spricht man von »fail to deliver« (wörtlich: »nicht liefern können«). Christopher Cox, 2008 Vorsitzender der US-Börsenaufsichtsbehörde Securities and Exchange Commission (SEC), schrieb im Juli 2009 in einem Artikel, durch ungedeckte Leerverkäufe könnten »die Preise sehr viel stärker nach unten manipuliert werden, als mit den zulässigen Methoden des Leerverkaufs«. Am 11. September 2008 waren nach Angaben der SEC insgesamt 32,8 Millionen Lehman-Aktien verkauft und nicht geliefert worden – ein Anstieg um das 57-Fache gegenüber dem bis damals geltenden Rekord-Höchststand des Vorjahres. Für ein Großunternehmen wie Lehman mit einem hohen Anteil von »Float« (Aktien, die gehandelt werden können) war eine derartig hohe Zahl höchst verdächtig und hätte eine eingehende Untersuchung erfordert. Doch die SEC, die sich auch hat vorwerfen lassen müssen, Hinweisen, dass Bernie Madoffs Geschäfte ein Schneeballsystem darstellten, nicht nachgegangen zu sein, hat bisher noch immer keine Ergebnisse einer etwaigen Untersuchung vorgelegt.

Fragen über Fragen

Weitere Fragen in Bezug auf den Zusammenbruch von Lehman Brothers stellt David Wessel in seinem im Juli 2009 erschienenen Buch In Fed We Trust (Wir vertrauen auf die Fed – eine Anspielung auf den Wahlspruch der Vereinigten Staaten »In God We Trust«). Warum wurde Bear Stearns vor dem Bankrott gerettet, Lehman Brothers aber nicht? Wie konnte es den Entscheidungsträgern entgehen, welch schwerwiegende Folgen es haben würde, wenn man Lehman untergehen ließ?

Eine mögliche Erklärung wäre, dass sie davon ausgingen, die Bank werde in letzter Minute doch aufgekauft, wie im Fall Bear Stearns geschehen. In beiden Fällen haben die Parteien nach dem Einbruch der Aktienkurse das ganze Wochenende über fieberhaft an einer Vereinbarung gearbeitet. Bei Bear Stearns führten die Verhandlungen zum Erfolg und zwar mit der Hilfe der New York Federal Reserve, die den Kredit bereitstellte, mit dem JP Morgan einspringen konnte. Im Fall Lehman kam der interessierte Käufer dagegen aus Großbritannien, und die entsprechende Hilfe musste vom britischen Finanzminister Alistair Darling kommen. Nach dem 11. September liefen das ganze Wochenende intensive Verhandlungen mit der Barclays-Bank, die bereit war, die Schulden von Lehman zu garantieren – allerdings mussten die britischen Regulierungsbehörden dafür die Bestimmung, wonach die Aktionäre zustimmungspflichtig waren, außer Kraft setzen. Die Verhandlungen liefen bis unmittelbar vor Öffnung der Märkte in Japan am Sonntag, doch der britische Finanzminister Alistair Darling verweigerte die notwendige Lockerung der Bestimmungen. Zur Erklärung sprach er davon, er wolle Großbritannien nicht mit dem amerikanischen Krebsgeschwür infizieren. Das war zwar nachvollziehbar, es blieb aber die Frage: Warum hatte er so lange gewartet, bis es für das US-Finanzministerium oder die Federal Reserve zu spät war, mit anderen Vereinbarungen in die Bresche zu springen?

Diese Frage wird umso bedeutsamer, als Minister Darling bereits ein Jahr zuvor bei einem weiteren Zusammenbruch am 11. September eine ähnliche Rolle gespielt hatte. Am 11. September 2007 stürmten aufgebrachte Kunden die Bank Northern Rock, die fünftgrößte Hypothekenbank Großbritanniens. Es war der erste Run auf eine britische Bank seit 141 Jahren. Die Aktien der Bank stürzten an einem einzigen Tag um 31 Prozent ab. Wie im Fall des Zusammenbruchs von Lehman Brothers in den USA führte der Konkurs von Northern Rock zu einer Änderung der Spielregeln. Von Stund an würden auch die britischen Großbanken gerettet werden, koste es was es wolle, damit die Kunden das Vertrauen nicht verloren und es zu einer Panik oder einen Run auf Banken kam, was zu einem Crash des gesamten Marktes wie 1929 führen könnte.

Alistair Darling hätte die Lage bei Northern Rock wie auch bei Lehman Brothers retten können, aber er gab klein bei. Im Fall Northern Rock stand mit Lloyds TSB ein Käufer bereit, aber der brauchte einen Kredit der Bank of England, den der Gouverneur der Bank, Mervyn King, verweigert hatte. Seine Mitarbeiter rieten Darling, sich über das Votum des Gouverneurs hinwegzusetzen und den Kredit zu gewähren, aber das hätte Premierminister Gordon Brown womöglich geschadet, der 1977 viel Lob geerntet hatte, als er der britischen Zentralbank, der Bank of England, Unabhängigkeit gewährte.

Brown wird im eigenen Land vorgeworfen, vor seiner Zeit als Premierminister als Finanzminister die Finanzkrise durch falsche Entscheidungen beschleunigt zu haben. Nach Ansicht von Kritikern hat das britische Finanzministerium seine Verantwortung als Finanzaufsicht über die britische Wirtschaft der Bank of England übertragen, die in mancherlei Weise eine Kontrolle über die Regierung ausübt, denn in Bezug auf den britischen Haushalt folgt man stets ihrem Rat. Das ganze Szenario macht deutlich, dass die viel gepriesenen Tugenden einer unabhängigen Zentralbank nichts als hochtrabendes Gerede sind. Einige Ökonomen, darunter auch Milton Friedman und Ben Bernanke, machen die schlechte Politik der unabhängigen Federal Reserve für die Große Depression in den 1930er-Jahren verantwortlich.

Schocktherapie?

Der Kongressabgeordnete Paul Kanjorski erklärte im Januar 2009 im US-Fernsehsender C-SPAN, der Zusammenbruch von Lehman Brothers habe am 18. September, einem Donnerstag, einen Run von 550 Milliarden Dollar auf die Liquidität am Geldmarkt ausgelöst. Diese katastrophale Nachricht hatte US-Finanzminister Henry Paulson dem Kongress hinter verschlossenen Türen überbracht. Der Kongress bewilligte daraufhin trotz erheblicher Bedenken den 700 Milliarden Dollar schweren Bankenrettungsplan. Diese Art »Schocktherapie« beschreibt Naomi Klein in ihrem Buch The Shock Doctrine (deutscher Titel: Die Schock-Strategie: Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus). Nach ihrer Darstellung bedeutet eine hastig durchgeführte Rettungsaktion, dass die Bürger auf Rechte oder Gelder verzichten, wozu man sie andernfalls schwerlich bewegen könnte.

Der 550-Milliarden-Run auf die Liquidität am Geldmarkt war genauso verdächtig wie die »Bombardierung« der Lehman-Aktien am 11. September. Der Aktienmarkt war eingebrochen, als Lehman am 15. September Konkurs angemeldet hatte, stieg am 16. September aber wieder an. Warum brach der Geldmarkt dann erst am 18. September ein? In einem Bericht des Joint Economic Committee (des gemeinsamen Wirtschaftsausschusses im US-Kongress) wird darauf verwiesen, dass der 62 Milliarden Dollar schwere Geldmarktfonds Reserve Primary Fund wegen seiner Investitionen in Lehman-Aktien »die Dollargrenze unterschritten« hatte (d.h. unter den Wert von einem Dollar pro Aktie gefallen war). Das war allerdings bereits am 15. September passiert und der Fonds hatte die Verkäufe für die darauffolgende Woche ausgesetzt. Welch unheilvolle Kehrtwende war am 17. September vollzogen worden? Nach Angaben der SEC war an dem Tag bei illegalen ungedeckten Leerverkäufen wieder einmal ein Rekord aufgestellt worden. Es gab 49,7 Millionen sogenannte »Failed Trades« (d.h. eine Partei konnte ihren Verpflichtungen überhaupt nicht nachkommen) – 23 Prozent der Lehman-Trades.

Die weitergehende Frage: Warum?

Das alles deutet darauf hin, dass Lehman Brothers nicht einfach über die Klippe gerutscht ist, sondern dass kräftig nachgeholfen wurde. Nach der Aussage des Vorsitzenden Richters im Konkursverfahren James Peck wurde »Lehman Brothers zum Opfer, es ist tatsächlich die einzige echte Ikone, die einem Tsunami zum Opfer gefallen ist, der über die Kreditmärkte hinweggerauscht ist«.

Wenn Lehman tatsächlich geopfert worden ist, wer hat dann nachgeholfen und mit welcher Absicht? Einige Kritiker verweisen auf Henry Paulson und seine Clique bei Goldman Sachs, Lehman Brothers’ Erzrivalen. In der Tat steht Goldman nach dem Abgang von Lehman Brothers ganz oben, aber es gab auch andere Erklärungen, mit Beteiligung anderer Global Players. Einen Monat nach dem Zusammenbruch von Lehman riefen Gordon Brown und andere Regierungschefs der EU dazu auf, die Finanzkrise als Chance zu betrachten, nun endlich die Regulierungsvollmacht der globalen Institutionen zu verstärken. Brown sprach von einer »neuen globalen Finanzordnung«, was an David Rockefellers »Neue Weltordnung« erinnerte. Der Globalisierungs-Banker hatte 1994 gesagt:

»Wir stehen vor einer weltweiten Umwälzung. Wir brauchen nur die richtige große Krise und die einzelnen Staaten werden die neue Weltordnung akzeptieren.«

Richard Haas, der Präsident des amerikanischen Council on Foreign Relations, schrieb 2006:

»Globalisierung ... bedeutet, dass die Souveränität nicht nur tatsächlich gelockert wird, sondern dass sie gelockert werden muss.«

Die Souveränität gehört zu den langgehegten Rechten, die ein Land nur »mit der richtigen großen Krise« aufgeben wird. Bei Gordon Brown klingt das so:

»Manchmal braucht man eine Krise, um die Zustimmung der Öffentlichkeit für etwas zu erhalten, das offensichtlich nötig ist und schon vor Jahren hätte getan werden sollen, was keinen Aufschub mehr duldet. ... Wir müssen eine neue internationale Finanzarchitektur für das Zeitalter der Globalisierung schaffen.«

Im April 2009 waren Gordon Brown und Alistair Darling Gastgeber der Gipfelkonferenz der G20 in London, bei der die Finanzkrise im Mittelpunkt der Diskussion stand. Man einigte sich auf Schritte in Richtung auf eine globale Währung und die Einrichtung eines internationalen Financial Stability Board als weltweite Regulierungsinstanz, die bei der umstrittenen Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel errichtet wird. Die internationalen Banker, die die Finanzkrise verursacht haben, schlagen nun also Kapital daraus, sie konsolidieren ihre Macht in einer »neuen globalen Finanzordnung«, die ihnen die vollständige Kontrolle verschafft.

Das Gesagte soll zum Nachdenken anregen, denn der 11. September steht wieder vor der Tür.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden E-Mail senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen    www.meidling-forum.at Foren-Übersicht -> WIRTSCHAFT - FINANZ Alle Zeiten sind GMT + 2 Stunden
Seite 1 von 1

 
Gehe zu:  
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht mitmachen.


Powered by phpBB © 2001, 2005 phpBB Group