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Böser Geist der Perestroika

 
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admin



Anmeldungsdatum: 22.07.2004
Beiträge: 2347

BeitragVerfasst am: Do Okt 20, 2005 8:28 pm    Titel: Böser Geist der Perestroika Antworten mit Zitat

Alexander Jakowlew war der Ideologe des sozialistischen Untergangs

Gennadi Sjuganow, Vorsitzender der KPRF, bezeichnete Alexander Jakowlew einmal als den »Chefideologen des russischen Antikommunismus«. Das mag die inoffizielle Funktion gewesen sein, die Jakowlew in den Jahren des konterrevolutionären Umbruchs und danach ausgeübt hat. Offiziell bekleidete er von 1985 bis 1990 das Amt des Ideologiesekretärs im ZK der KPdSU. Das erklärt weitgehend die subjektive Seite des Untergangs des sowjetischen Kommunismus. Doch auch die ergab sich aus der Objektivität der Verhältnisse.


Immer dabei gewesen

Alexander Nikolajewitsch Jakowlew wurde 1923 im Gebiet Jaroslawl als Sohn einer Bauernfamilie geboren. Und genoß fortan die Vorteile eines die Arbeiter- und Bauernintelligenz fördernden Systems. Er studierte Pädagogik und Geschichte und war alsbald im engsten Kreis des zentralen Machtapparats zu finden. Er schrieb Reden für Nikita Chruschtschow und später für Leonid Breshnew. Als die Truppen des Warschauer Paktes 1968 die CSSR heimsuchten, war er als ZK-Sekretär für Propaganda tätig. 1985 auf dem 27. Parteitag der KPdSU wurde Alexander Jakowlew Mitglied des Politbüros und ZK-Sekretär. Das Unheil nahm seinen Lauf.

Jakowlew erwarb sich den zweifelhaften Ruf, der wichtigste Ideengeber der Perestroika gewesen zu sein. Sollte der von der Gorbatschow-KPdSU initiierte Umbau tatsächlich die Absicht verfolgt haben, den Sozialismus auf seiner eigenen Grundlage zu erneuern, dann war das der katastrophalste Fehlschlag in der Weltgeschichte. Gorbatschow und mehr noch Jakowlew aber setzten die Legende in Umlauf, die Perestroika genau auf dieses Ziel, die Zerstörung des sozialistischen Systems, ausgerichtet zu haben. Diese Version der Ereignisse hätte von Verschwörungstheoretikern nicht besser erfunden werden können.

Wahrscheinlicher aber ist, daß die Partei- und Staatsspitze ursprünglich eine Reform und nicht die Zerstörung des Systems bezweckte. Auch daß diese Reform tiefer gehen sollte als alle bisherigen Veränderungsversuche, dürfte in der Absicht ihrer Erfinder gelegen haben. Doch das dem bürokratischen Sozialismus innewohnende soziale Trägheitsmoment ließ sich systemimmanent nicht überwinden, dazu hätte es einer gewaltigen Massenbewegung bedurft. Eine solche ernsthaft zum Leben zu erwecken, waren die an ihren Privilegien hängenden Systemträger trotz ständigen Wehklagens über die Apathie der Massen nicht bereit. Und die Massen sahen in der Perestroika nur ein weiteres bürokratisches Manöver – zu Recht, wie sich herausstellen sollte. In dieser Situation der Selbstblockade der Gesellschaft begannen sich die Interessen der führenden Kreise, zuerst kaum bemerkbar, dann immer offensichtlicher, zu verschieben – in Richtung einer Selbstzerstörung des Systems, das heißt der Aufhebung der sozialistischen Produktions- und Eigentumsverhältnisse zugunsten der staatsbürokratischen Eliten und der Aktivisten der Schattenwirtschaft. Alexander Jakowlew war der Vordenker dieser Entwicklung.


Diskursverschiebung

Auf seinen maßgeblichen Einfluß ging eine dramatische, aber kaum wahrgenommene Diskursverschiebung im Übergang von der ersten zur zweiten Etappe der Perestroika zurück. War die frühe Perestroika von egalitären Vorstellungen – Beseitigung der bürokratischen Vorherrschaft und Abschaffung der Privilegien – gekennzeichnet, so begannen nun Postulate die Debatte zu bestimmen, die auf die gesellschaftliche Anerkennung und rechtliche Legitimierung der ökonomischen Vorrechte bestimmter Gruppen hinausliefen. Jakowlew inspirierte das »Gesetz über die Genossenschaften«, das die Transformierung von Raubgut in legales Eigentum ermöglichte, und sprach sich gleich auch noch gegen jede Form der Einkommenskontrolle aus. In einer scharfen Einkommensdifferenzierung sah er die Grundvoraussetzung für einen »Sozialismus in Vielfalt«.

»Sozialistisch« sei, sagte Jakowlew 1990 auf einer Veranstaltung in der Lomonossow-Universität, »das, was dem Menschen zugute kommt, was ihm Nutzen, Wohlergehen und Glück bringt und seine Würde fördert. Schließlich und endlich ist der Mensch, der in einer Gesellschaft der Freiheit lebt, das Allersozialistischste.« Selbstredend war Jakowlews »moderner Sozialismus« emanzipatorisch, weil auf »wirklichem Volkseigentum«, »Selbstverwaltung« und der »Autonomie der Produzenten« beruhend, begründet. Als Negation dessen wurde aber nicht das parasitäre bürokratisch-mafiose Geflecht identifiziert, sondern das Schmarotzertum der in einem dumpfen Anspruchsdenken gegenüber dem Staat verharrenden, Gleichheit auf niedrigstem Niveau bevorzugenden arbeitsscheuen Massen. Am Tiefpunkt der sozialistischen Erneuerungsdebatte bildeten sich bereits Sprachmuster des späteren neoliberalen Diskurses heraus. So gestaltete sich die von Jakowlew geforderte Ankunft des modernen Sozialismus in der Weltzivilisation.


Mit Lenin gegen Lenin

Daß diese Weltzivilisation fortan nicht mehr von revolutionären Erschütterungen heimgesucht werde, ist Jakowlews in seinem letzten Buch »Die Abgründe meines Jahrhunderts« niedergeschriebenes Vermächtnis: »Revolution ist Hysterie und Ohnmacht vor dem erdrückenden Gang der Ereignisse, der sinnlose Versuch, aus dem Stand all das zu überwinden, was Jahrzehnte angespannter Mühen der ganzen Gesellschaft erfordert.« Im Bolschewismus sah er, der Lenin immer wieder als Argumentationshilfe für seine Perestroika-Ideen zu nutzen wußte, die Urkatastrophe des Jahrhunderts und nicht nur eine dem Faschismus gleichwertige Erscheinung, sondern dessen Vorläufer und Verursacher. Die Genesis des faschistischen Rassenwahns ortete er in der »sozialrassistischen« Theorie vom Klassenkampf. Daß er selbst der letzte Chefideologe der von Lenin gegründeten Partei war und Jahrzehnte die »grausamste Diktatur aller Zeiten« an führender Stelle repräsentierte, war ihm nie einer tieferen Überlegung wert. Das hatte sogar seine innere Logik. Indem er in der kommunistischen Idee und ihrem ultimativen Anspruch auf soziale Gerechtigkeit sowie im »Gleichheitswahn« der Massen die Ursache allen Übels sah, meinte er sich seiner Führungsrolle in einem Parteiapparat, der das kommunistische Ideal (nicht erst seit 1985) zunichte machte, nicht schämen zu müssen. In dieser Gewißheit entschlief Alexander Nikolajewitsch Jakowlew am 18. September 2005.
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