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USA: Kein Kredit mehr

 
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admin



Anmeldungsdatum: 22.07.2004
Beiträge: 2346

BeitragVerfasst am: Fr Feb 25, 2005 10:04 am    Titel: USA: Kein Kredit mehr Antworten mit Zitat

Der Kapitalismus nähert sich dem Zeitpunkt, an dem der US-Dollar seine Funktion als Weltleitwährung verliert. Wachsende Defizite der USA drohen die Weltwirtschaft ins Wanken zu bringen

Mitte Februar meldeten die Wirtschaftsgazetten, daß das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) im letzten Quartal 2004 erneut rückläufig war. Insgesamt gab es in der Euro-Zone im vierten Quartal 2004 nur noch ein Miniwachstum von 0,2 Prozent. Damit nicht genug, wurde zum gleichen Zeitpunkt bekannt, daß Japan im vergangenen Jahr eine neue Rezession durchlief. Da auch in den USA das Wirtschaftswachstum seit dem zweiten Halbjahr 2004 abflachte, werden derzeit die Statistiken zur Weltwirtschaft im abgelaufenen Jahr nach unten korrigiert. Vor allem aber verdüstern sich die Vorhersagen für 2005. Und es stellt sich die Frage, ob auf die Rezession 2001–2003, in der es bereits zwei Einbrüche der Wirtschaft gab (»double dip«), nur ein einjähriger Aufschwung folgte, ob ein »triple dip« bevorsteht oder ob die gesamte Weltwirtschaft derart labil ist, daß es nicht mehr zu einer umfassenden Erholung und einem normalen Konjunkturzyklus kommt.

Diese Debatten betreffen ausschließlich die Realwirtschaft; es geht um die »fundamentalen Daten«. Tatsächlich stellt heute die fragile weltweite Finanzarchitektur die Achillesferse der kapitalistischen Weltwirtschaft dar. In den hochindustrialisierten kapitalistischen Ländern dominiert bekanntlich der Neoliberalismus: Die Löhne stagnieren oder sinken real, die Massenarbeitslosigkeit verharrt auch im Aufschwung auf historischen Rekordhöhen, womit letzten Endes die Massennachfrage, insoweit sie auf Arbeitseinkommen und Sozialtransfers beruht, reduziert wird. Die hohen Profite der Unternehmen – Resultat optimaler Ausbeutungsbedingungen – kontrastieren mit einer unzureichenden Nachfrage.


»Zwillings-Defizit« in den USA

Dies führt dazu, daß erneut gewaltige Summen von Geldkapital in die Spekulation gesteckt werden – in den Immobiliensektor, in das Fusions-Geschäft (»M&A«), in die Börsen (u.a. in Form von »buybacks«: Unternehmen kaufen zur »Kurspflege« die eigenen Aktien auf). Wenn durch diese spekulative Nachfrage Häuser höher bewertet werden (und dadurch u.a. die Kreditfähigkeit von Immobilienbesitzern wächst) und wenn Firmenwerte hochgetrieben werden, dann handelt es sich zunächst um eine reale Nachfrage, die aber insofern künstlich ist, als hinter ihr keine real geschaffenen Werte stehen. Die Preisblase droht irgendwann zu platzen. Stephan Roach, Chefökonom für Weltwirtschaft bei der Investmentbank Morgan Stanley, brachte den Mechanismus mit den Worten auf den Punkt: »Nach dem Platzen der Aktienblase haben Amerikas Konsumenten ihr Geld in den Immobilienmarkt gesteckt, auf dem sich mittlerweile eine Preisblase gebildet hat. Die Amerikaner verkaufen ihre immer höher bewerteten Häuser oder nehmen immer höhere Kredite auf die Immobilien auf, um mit dem Geld DVD-Player und anderes aus Asien zu kaufen.«

Ein erheblicher Teil des weltweiten Wirtschaftswachstums, das es 2004 gab, wurde noch auf andere künstliche Weise herbeigeführt: durch die gewaltigen »Zwillings-Defizite« in den USA, die Fehlbeträge von Haushalt und Leistungsbilanz, und durch eine daraus resultierende US-Verschuldung und deren Finanzierung auf internationaler Ebene.

In den Jahren 1998 bis 2001 erwirtschafteten die USA noch Haushaltsüberschüsse. Mit Beginn der ersten Amtsperiode von George W. Bush, zugleich mit Beginn der neuen Rezession 2001-2003 war der US-Haushalt wieder defizitär. Die Steuern für Unternehmen wurden weiter gesenkt und die Ausgaben für Militär und »Sicherheit« massiv erhöht. Es gab einen spezifischen »militärischen Keynesianismus«. Die Budgetdefizite stiegen von 158 Milliarden US-Dollar 2002 auf 513 Milliarden 2004. 2005 wird das Defizit auf ähnlichem Niveau liegen. Das heißt, allein im abgelaufenen Jahr wurde eine Summe von gut 500 Milliarden US-Dollar in die US-Wirtschaft gepumpt, die ausschließlich kreditfinanziert war. Der Betrag liegt über der Summe der gesamten Ausgaben des deutschen Bundeshaushalts. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt macht das 2004er US-Defizit (Bund und Bundesstaaten und Sozialversicherungen) rund sieben Prozent aus – das Doppelte des Maastricht-Kriteriums der EU (das allerdings inzwischen auch von einem Drittel der EU-Staaten, darunter der BRD, überschritten wird). In den Jahren 2002 bis 2005 steigen allein in Folge der Haushaltsdefizite die öffentlichen Schulden der USA um rund 1 500 Milliarden Dollar. Finanziert wird diese Schuld – bisher – überwiegend durch Staatsanleihen, die von in- und ausländischen Personen, Unternehmen oder Institutionen – letzteres vor allem Zentralbanken – gekauft werden.

Parallel gibt es in den USA den Zwilling zum Haushaltsdefizit, das Leistungsbilanzdefizit. Seit 15 Jahren importieren die USA mehr, als sie an Waren und Dienstleistungen exportieren. Das Leistungsbilanzdefizit steigt ebenfalls kontinuierlich an. 2004 erreichte es das Rekordniveau von 600 Milliarden US-Dollar. Das entsprach 5,7 Prozent des US-BIP. Der IWF interveniert in der Regel gegenüber Schwellenländern, wenn ihr Leistungsbilanzdefizit fünf Prozent überschreitet.


»Entwicklungshilfe« aus Asien

Der Chefökonom der Londoner Financial Times, Martin Wolf, ließ das Jahr 2004 mit der Warnung ausklingen: »Die wachsenden Defizite der einzigen Supermacht werden zur Gefahr für die Weltwirtschaft.« Tatsächlich resultieren aus diesen US-Defiziten im Wortsinne »offene Rechnungen«. Allein das 2004er Defizit in der Leistungsbilanz verteilt sich in Form bilateraler Leistungsbilanzdefizite auf neue Dollar-Guthaben in Höhe von 160 Milliarden in Tokio, 150 Milliarden in Peking, 140 Milliarden in Europa und weiteren 100 Milliarden Dollar in den Golfstaaten. Bisher haben die Zentralbanken der jeweiligen Länder mit diesen Dollar-Guthaben US-Anleihen gekauft. Allein die asiatischen Zentralbanken sammelten seit 2000 und bis Ende 2004 auf diese Weise einen Devisenschatz von 1800 Milliarden Dollar an (darunter Tokio: 800 und Peking 600 Milliarden). 2004 wurden die US-Defizite erstmals ausschließlich von asiatischen Länden finanziert, darunter mit 207 Milliarden Dollar durch China und mit 171 Milliarden durch Japan; die Länder Südkorea, Taiwan, Indien, Malaysia, Singapur, Thailand und Hongkong finanzierten die USA mit weiteren 160 Milliarden Dollar. Sieht man von Japan ab, so fungierten damit Drittweltstaaten bzw. Schwellenländer als »Bank for America«. Verkehrte Welt? Ja und nein.

Die »Entwicklungshilfe«, die derzeit vor allem die asiatischen Staaten, allen voran die Volksrepublik China, den USA gewähren, erfüllt zwei Funktionen. Erstens wird der Dollar gestützt; gleichzeitig werden die eigenen Währungen (Yen, Renminbi, Won usw.) niedrig gehalten. Dies fördert die eigenen Exporte. Zweitens wird durch Megakredite an die USA der US-Konsum beflügelt und das dortige Wirtschaftswachstum auf Pump verlängert, was wiederum in den USA und weltweit die Konjunktur stützt – und die Sucht nach Importen aus Asien fördert.

Dieser Prozeß künstlicher Weltnachfrage ist nicht beliebig fortsetzbar. Ende 2004 hat die Auslandsverschuldung der USA 3 100 Milliarden US-Dollar erreicht. Das entspricht dem Dreifachen des Werts der US-Exporte. Bei Drittweltländern gilt: Wenn die Auslandsverschuldung den doppelten Wert der jährlichen Exporte ausmacht, ist dies ein Warnzeichen vor einem Absturz. Gewöhnlich wird der IWF aktiv. Im Fall Argentinien machte die Auslandsschuld 2001 das Dreifache des Werts der jährlichen Exporte aus. Doch hier handelte es sich bereits um einen de-facto-Staatsbankrott.


Lok aus der Spur

Bisher reagierte die US-Regierung, indem sie eine Abwertung des Dollars – und damit eine Abwertung der US-Auslandsschulden – akzeptierte und herbeiredete. Damit sollten die US-Exporte erhöht, das Handelsbilanzdefizit reduziert und die US-Schulden im Ausland entwertet werden. So fiel der Wert der US-Währung gegenüber dem Euro von Mitte 2001 bis Anfang 2005 um 38 Prozent. Bereits diese eher vorsichtige Reaktion hatte vor allem negative Auswirkungen auf die Weltkonjunktur: Die US-Importe verteuerten sich, und der US-Konsum ging zurück. Die US-Zentralbank hob erstmals seit mehreren Jahren wieder die Zinsen an, um Anlagen in US-Dollar und US-Anleihen attraktiv zu halten und das dringend benötigte Auslandskapital anzuziehen. Damit steigen jedoch die Immobilienzinsen wieder an; die Blase in diesem Sektor droht zu platzen. Vor allem aber verteuerten sich die Exporte aus Japan und Europa, was den wichtigsten Motor der Weltkonjunktur ins Stottern bringt.

Doch für die US-Ökonomie selbst brachte diese Medizin bisher keinen erkennbaren Erfolg. Die Wettbewerbsfähigkeit der US-Wirtschaft auf dem Weltmarkt hat sich nicht erkennbar verbessert. Das US-Defizit in der Leistungsbilanz droht 2005 sogar auf sieben Prozent anzusteigen. Seit Ende 2004 lahmt nun auch in den USA die Konjunktur: Im vierten Quartal wuchs das US-BIP nur noch um 3,2 Prozent – eine Halbierung im Vergleich zum Herbst 2003. Die industrielle Produktion konnte im selben Zeitraum nur noch um ein Prozent gesteigert werden.

Damit sind nicht nur, wie eingangs belegt, die wichtigen Triaden-Regionen Japan und EU von neuen Rezessionstendenzen betroffen. Auch das Zugpferd der Weltwirtschaft, das 2003 für den vermeintlich neuen Aufschwung sorgte, lahmt.

Das ist kaum ein Wunder. Die Wirtschaftspolitik unter George W. Bush war von vornherein von Kurzatmigkeit geprägt. Sie zielte auf den schnellen Profit für große Konzerne und den Wahlsieg für eine zweite Amtsperiode der Abzocker-Clique um den US-Präsidenten. Natürlich gibt es immanente Krisentendenzen des Kapitalismus, die in jedem Fall wirken. Doch im Fall des »Bushism« kam es auch aus bürgerlicher Sicht zu einer speziellen, unverantwortlichen Form der Wirtschaftspolitik. Der Nobelpreisträger und frühere Berater von US-Präsident William Clinton, Joseph Stiglitz, bilanzierte dies folgendermaßen: »Die Zwillingsdefizite sind nicht nur ein Problem der USA, sondern der ganzen Welt. Die Bush-Regierung betreibt eine neue Form des beggar your neighbour (beleih Deinen Nachbarn; W.W.), also eine Politik auf Kosten anderer Staaten. Das große Defizit im Außenhandel führt zu einem schwachen Dollar und zu einem starken Euro, der wiederum die Exportfähigkeit Europas beeinträchtigt. Irgendwann könnte das Vertrauen in die USA derart erschüttert sein, daß ausländische Anleger zu der Überzeugung kommen, das Defizit nicht mehr finanzieren zu wollen.«


Sonderfall China

All das beschreibt die kritische Lage des Weltkapitalismus noch unzureichend. Die materielle Produktion und die labile Weltkonjunktur werden noch weit mehr von der fragilen Weltfinanzarchitektur beeinflußt und gefährdet – vor allem durch den Sonderfall China.

Das ungebremste Wachstum des chinesischen Bruttoinlandsprodukts im vergangenen Jahr mit 9,5 Prozent hat die Weltkonjunktur deutlich positiv beeinflußt. 2004 machten steigende Ausfuhren nach China 25 Prozent des deutschen Exportwachstums aus; bei Südkorea lag diese Marge bei 45 Prozent, bei Japan bei 70 und bei Taiwan gar bei 90 Prozent.

Peking hat seine Währung, Renminbi, auch Yuan genannt, seit 1995 fest an den Dollar gekoppelt. Die Verteidigung des Kurses von 8,28 Yuan für einen US-Dollar ist teuer erkauft. 2004 finanzierte China bereits ein Drittel des gesamten US-Defizits in der Leistungsbilanz. Mit den gewaltigen, schnell steigenden Dollar-Devisenreserven von inzwischen 600 Milliarden US-Dollar – doppelt so viel wie 2002 – verteidigt die chinesische Zentralbank diese Währungsrelation. Der Yuan gilt als um rund 25 Prozent unterbewertet, was die enormen chinesischen Exporte nach den USA und in den Dollar-Raum fördert. Dies führt dazu, daß die Regierungen in Washington, Tokio und Europa auf eine Aufwertung der chinesischen Währung drängen. Internationale Kapitalanleger, vulgo Spekulanten, flüchten in die chinesische Währung – in Erwartung einer Yuan-Aufwertung.

Je größer der politische und vor allem der spekulative Druck auf die chinesische Währung wird, desto schwieriger wird es, eine nur gemäßigte Anpassung der Währungsrelationen durchzuführen. Kommt es jedoch zu einer deutlichen Aufwertung des Renminbi, so wird die Architektur der Weltökonomie und der Weltfinanzen auf mehrfache Weise bedroht. Zunächst wird die Wirtschaft in China abschmieren, weil die alles entscheidende Exportwirtschaft, deren Wachstum 2004 mit 35 Prozent beim fast Vierfachen des BIP-Wachstums lag, einbrechen würde. Die fieberhaft und unkoordiniert aufgebauten neuen Kapazitäten im Land würden sich als Überkapazitäten erweisen und auch eine Binnenmarktkrise auslösen. Die Folgen, die dies in China selbst und für den asiatischen Raum haben würde, dürften ähnlich gravierend wie im Fall der asiatischen Finanzkrise 1997/98 sein, in deren Verlauf die bis dahin unschlagbar erscheinenden »Tigerstaaten« abstürzten und Weltkonzerne wie Daewoo und Kia als selbständige Unternehmen weggefegt wurden. Die Rating-Agentur Standard & Poor’s schätzt, daß rund die Hälfte aller Kredite bei den chinesischen Großbanken faul sind – ein Volumen von 500 Milliarden Dollar. Der Immobiliensektor ist von einer gewaltigen Preisblase und flächendeckender Korruption geprägt. Große chinesische Konzerne erwiesen sich bereits 2004 als Pleitefälle – so das Konglomerat D’Long mit 58000 Beschäftigten.

Als zweites würde die ohnehin labile Weltkonjunktur eine letzte Stütze verlieren. Vor allem jedoch würden im Fall einer Renminbi-Aufwertung – drittens – die Devisenreserven in China drastisch abgewertet. Die Symbiose zwischen Süchtigem und Dealer, zwischen US-Konjunktur auf Pump und dessen Finanzierung durch die chinesische Zentralbank, würde zerschlagen. Allein eine Yuan-Aufwertung um 20 Prozent bedeutete für Peking angesichts des erwähnten 600-Milliarden-Dollar-Devisenschatzes einen Verlust von 120 Milliarden US-Dollar. Peking könnte zum Ausstieg aus dem Dollar veranlaßt werden. Ein solcher Verlust ist jedoch nicht hinnehmbar – zumal die Gefahr weiterer Dollar-Abwertungen drohen würde. Damit aber würde endgültig die »Finanzarchitektur des Schreckens«, wie dies der ehemalige US-Finanzminister Larry Summer nannte, ins Wanken gebracht.


Dollar, Gold, Euro

So nähert sich der Kapitalismus dem Zeitpunkt, an dem der Dollar seine Funktion als Weltleitwährung verliert. Der Finanzhistoriker Niall Ferguson äußerte: »Kein Geldsystem hält ewig. Der Euro hat das Zeug, dem Dollar als internationale Reservewährung Konkurrenz zu machen.« Der Mann ist Brite; er weiß, wovon er spricht. Dem Pfund Sterling, Vorgänger des US-Dollars in dieser Funktion, erging es ähnlich. Großbritannien war vor dem Ersten Weltkrieg der größte Gläubiger der Welt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Land – wie heute die USA – einer der größten Schuldner der Welt. Dies führte nach 1945 zum Aufstieg des US-Kapitalismus auf dem Weltmarkt und zum Dollar als neuer Leitwährung.

So gesehen würde sich Wirtschaftsgeschichte lediglich wiederholen. Allerdings sind drei Besonderheiten zu berücksichtigen: Erstens dauerte der reale Ablösungsprozeß des britischen Pfund durch den US-Dollar mehr als eineinhalb Jahrzehnte und war mit schmerzhaften Krisen und Erschütterungen der Weltwirtschaft verbunden. So gab es 1923 in Deutschland die Inflationskrise und 1929 bis 1932 die Weltwirtschaftskrise. Zweitens gab es mit dem US-Dollar eine glaubwürdige Alternative zum britischen Pfund, hinter der die größte Wirtschaftskraft der Welt mit ihrer ungeheuren Dynamik stand. Vor allem waren die USA damals auch bereits die größte Militärmacht der Welt. Heute gibt es zwar den Euro als Alternative, in der schon rund 20 Prozent der weltweiten Devisenvorräte angelegt sind. Doch der Euro ist noch keine fünf Jahre jung. Hinter ihm steht mit der EU »nur« eine res publica in status nascendi – ein Staatsgebilde im Geburtszustand. Vor allem sind die USA weiterhin und derzeit mehr denn je Militärmacht Nummer eins. Daß die EU versucht, auch auf diesem Gebiet u.a. mit der verfassungsmäßigen Verpflichtung zu Militarisierung und Aufrüstung aufzuschließen, zeigt zwar, daß die Entwicklung auf eine Ablösung der Weltwährung Dollar hinausläuft. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, um welch einen langen Weg es sich noch handeln würde, wie viele Abgründe noch lauern und etliche Fragen zu beantworten sind: Wird der Euro eine erste Weltwährungskrise überstehen? Wird er zur EU-Währung werden? Wird die EU sich gegenüber den nationalstaatlichen Interessen durchsetzen? Wie vieler Kriege mit welcher Vernichtungskraft wird es bedürfen, bis eine EU in Blut getaucht ihre Währung zur Weltleitwährung erheben kann?

Drittens hatten frühere Leitwährungen Goldstandard – das britische Pfund und der US-Dollar, letzterer bis 1971: Sie konnten jederzeit in das allgemeine Äquivalent für gesellschaftliche Arbeit, in Gold, umgetauscht werden – zu einem fixen Kurs. In Zeiten früherer Währungskrisen stellte dies für das internationale Finanzsystem einen sicheren Hafen dar. Wenn Goldbarren gerade in Krisenzeiten als »rechteckig, praktisch, gut« erscheinen, dann hat das nichts mit Mystik zu tun. Vielmehr bestätigt sich auf diese Weise die Marxsche Wirtschaftstheorie, wonach alle Werte auf Arbeitszeit beruhen, geronnene Arbeitszeit sind. Karl Marx: »Die spezifische Schwere des Goldes und des Silbers, viel Gewicht in einem relativ schmalen Volumen zu enthalten as compared with other metals (verglichen mit anderen Metallen; W.W.) wiederholt sich in der Welt der Werte so, daß es großen Wert (Arbeitszeit) in verhältnismäßig schmalem Volumen enthält« (Grundrisse, MEW 42, S. 163).

Auch der US-Dollar als Leitwährung basierte nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Goldstandard. Festgelegt war, daß die US-Notenbank sich verpflichtete, jederzeit für 35 US-Dollar eine Unze Gold zu verkaufen und einen ausreichend großen Goldbestand vorzuhalten. Diese Gold-Preis-Bindung des Dollars wurde jedoch 1971 aufgegeben. Der damalige US-Finanzminister John Connally äußerte: »Es ist unsere Währung, aber euer Problem.« Das mag 1971 zutreffend gewesen sein. Drei Jahrzehnte lang funktionierte es auch, sich durch ein Weltwährungssystem durchzuwursteln, das grundsätzlich instabil war und nur den »ideellen Anker«, das Vertrauen in die US-Ökonomie, hatte. Inzwischen schwindet jedoch dieses Vertrauen. Die Lokomotive US-Wirtschaft ist aus der Spur geraten. Die Krise der Leitwährung Dollar wird zum Problem für die gesamte kapitalistische Ökonomie.

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