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Georgiens geopolitische Bedeutung für Washington

 
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admin



Anmeldungsdatum: 22.07.2004
Beiträge: 2346

BeitragVerfasst am: Do Mai 14, 2009 3:37 pm    Titel: Georgiens geopolitische Bedeutung für Washington Antworten mit Zitat

Die immer stärker werdenden Proteste der Opposition in Georgien und Gerüchte über einen Aufstand der georgischen Streitkräfte gegen die unverhohlenen Mafiamethoden von Präsident Saakaschwili machen deutlich, in welchem Dilemma die amerikanische Strategie zur Einkreisung Russlands steckt, seit Georgien im August 2008 nach Süd-Ossetien eingefallen ist. Es ist ein Dilemma von strategischen Ausmaßen und es betrifft nicht nur das amerikanische Vorhaben, Georgien und die Ukraine zu Mitgliedern der NATO zu machen. Denn es betrifft auch das zukünftige militärische Vorgehen Washingtons in Afghanistan und Pakistan sowie die Zukunft der Eindämmung Russlands und Chinas durch die USA und die NATO. Kurz: Die jüngsten Entwicklungen in Georgien haben große strategische Auswirkungen für die Regierung Obama und die weltweite Machtprojektion des Pentagons.
Das Saakaschwili-Regime in Georgien ist von Washington ausgewählt worden. Zuvor war der alte Sowjet-Veteran Eduard Schewardnadse im Jahre 2004 durch die von den USA finanzierte »Rosen-Revolution« gestürzt worden, weil er sich zu eng an Moskau gebunden hatte. Damals war der in den USA ausgebildete Rechtsanwalt Saakaschwili zwar nur die zweite Wahl, galt aber als schwach genug, um sich von der finanziellen und militärischen Macht der USA abhängig machen zu lassen. Saakaschwilis zunehmend despotisches Vorgehen im eigenen Land, das ihn immer mehr als brutalen Gangster und schäbigen Diktator entlarven, haben sich für Washington als hinderlich bei dem Bemühen erwiesen, die NATO-Mitglieder der EU für einen Beitritt Georgiens zur NATO zu gewinnen.

Um zu beweisen, dass die USA und die NATO eine NATO-Mitgliedschaft Georgiens nach wie vor unterstützen, haben sie für Anfang Mai gemeinsame Militärmanöver mit Georgien angesetzt. Doch sehr zum Missfallen der NATO fallen nun diese Manöver zeitlich mit Massenprotesten und Demonstrationen zusammen, in denen Saakaschwili zum Rücktritt aufgefordert wird. Es ist zwar nicht klar, ob Moskau sich derzeit in Georgien einmischt und die Opposition anfacht, aber es ist nicht sehr wahrscheinlich. Gut informierte Insider halten Moskaus direkten Einfluss in Georgien für sehr gering. Wesentlich wahrscheinlicher ist es, dass die Opposition ihren Ursprung in Georgien selbst hat, denn Saakaschwili wird allgemein dafür verantwortlich gemacht, dass sich die wirtschaftliche Lage seit dem Militärabenteuer im letzten August verschlechtert hat. Saakaschwili hatte später zugegeben, den Krieg gegen Süd-Ossetien selbst vom Zaun gebrochen zu haben.

Der jüngste Aufstand eines georgischen Panzerbataillons während eines gemeinsamen Manövers mit der NATO wirft ein Schlaglicht auf ein großes strategisches Dilemma für die USA.

Klar ist, dass Washington zum gegenwärtigen Zeitpunkt froh wäre, in Tiflis einen stabileren Partner zu haben als den unberechenbaren Clan-Boss Saakaschwili. Doch wie sich das erreichen lässt, ist eine ganz andere Frage. Washingtons Dilemma wird dadurch noch komplizierter, dass die USA auch bei dem immer schlimmer werdenden Desaster in Afghanistan und Pakistan auf die Kooperation Moskaus angewiesen sind. Moskaus jüngster Erfolg in der Region bestand darin, die Schließung der US-Luftwaffenbasis Manas in Kirgisistan durchgesetzt zu haben, was für den logistischen Nachschub der USA in Afghanistan einen erheblichen Rückschlag bedeutete. Jetzt muss der Nachschub für die US-Streitkräfte in Afghanistan verstärkt über nördlichere Routen erfolgen, die von Russland kontrolliert werden. Dessen sind sich Medwedew und Putin wohl bewusst und spielen ihre Karten äußerst klug aus. So signalisieren sie ihre Bereitschaft für diplomatische Gespräche mit der Regierung Obama über die umstrittenen US-Pläne zur Stationierung amerikanischer Raketen in Polen und hochentwickelter phasengesteuerter Radaranlagen in der Tschechischen Republik, die angeblich dort »zum Schutz gegen iranische Raketen« installiert werden sollen. Diese Behauptung hat Moskau mit Recht als absurd zurückgewiesen. Die in Polen und Tschechien stationierten Raketen richten sich, so hat die russische Führung wiederholt erklärt, eindeutig gegen Russland, Washingtons einzigen noch existierenden atomaren Konkurrenten, der in der Lage ist, einen amerikanischen Nuklearangriff abzuwehren, trotz aller internen Probleme der russischen Militär-Infrastruktur.

Jetzt bringt ein Aufruhr in den georgischen Streitkräften am Vorabend der gemeinsamen Manöver Georgiens mit der NATO Washington in eine äußerst missliche Lage. Dieser Aufruhr unterstreicht, wie schwach die amerikanische Großstrategie geworden ist, seit die Regierung Bush mit ihrer gleichzeitigen »Zwei-Kriegs«-Operation in Afghanistan und Irak die amerikanischen Streitkräfte überfordert hat. Wie ich in meinem Buch Apokalypse jetzt! beschrieben habe, war es nicht nur für Russland, sondern auch für die restliche Welt offensichtlich, dass es Washington bei diesen Kriegen nicht darum ging, eine Organisation namens Al Qaida auszuschalten oder einen obskuren Osama bin Laden festzunehmen und ihn wegen angeblicher Beteiligung an den Anschlägen vom 11. September 2001 vor Gericht zu stellen. Vielmehr gibt es keinen Zweifel daran, dass die USA versuchen, Eurasien militärisch zu dominieren, die einzige Landmasse, die die »Full Spectrum Dominance« der USA – so nennt das Pentagon das strategische Vorgehen der USA, die Rolle des Weltherrschers zu spielen – herausfordern könnte.

Ein unwiderruflicher Niedergang
Das einzige Problem ist nun, dass die Vereinigten Staaten, ob es einem gefällt oder nicht, sich in einem unwiderruflichen Prozess der wirtschaftlichen und finanziellen Desintegration als Supermacht befinden. Kein Präsident, keine noch so große Finanzspritze (»bailout«) für eine Bank, kann die Auswirkung einer Wirtschaftspolitik rückgängig machen, die seit 1944 mit der Schaffung des Währungssystems von Bretton Woods auf einem immer stärker werdenden wirtschaftlichen Parasitentum der USA gegenüber der übrigen Weltwirtschaft beruht hat. Das Dollar-System nach dem Zweiten Weltkrieg hat nur bis Ende der 1960er-Jahre gehalten, als der doppelte Druck durch den Vietnamkrieg und die Erholung der Volkswirtschaften in Europa von den Kriegsschäden das relative Gewicht der USA verringert hat – und dieser Prozess ist nicht mehr umzukehren.

Der bewusst inszenierte Ölpreisschock der 1970er-Jahre war, wie ich in meinem vor Jahren erschienenen Buch Mit der Ölwaffe zur Weltmacht gezeigt habe, bei dem Bilderberger-Treffen im Mai 1973 auf der schwedischen Insel Saltsjoebaden geplant worden, um den Dollar als Grundlage der finanziellen Beherrschung der Weltwirtschaft durch die USA und die Wall Street künstlich zu stützen. Die anschließende Schuldenkrise in Lateinamerika und Osteuropa der 1980er-Jahre nutzte die Wall Street unter Führung David Rockefellers von der Chase Manhattan Bank, um die Volkswirtschaften insbesondere Lateinamerikas auszubeuten und die (in US-Dollar abgerechneten) Kosten der Rohstoffe für die amerikanische Produktion drastisch zu drücken. Das war Teil der US-Strategie zur »Globalisierung« der amerikanischen Produktion.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion zu Beginn der 1990er-Jahre öffnete die bis dahin geschützten Volkswirtschaften Osteuropas und Russlands für die ausgeprägte Plünderei durch dollarbasierte Banken und Unternehmen. Dadurch erhielt die damals geschwächte Herrschaft des »Amerikanischen Jahrhunderts« bis zum Ende des 20. Jahrhunderts noch einmal Rückenwind. Doch der Einbruch am amerikanischen Aktienmarkt 2002 bis 2003 war der Anfang vom Ende des US-Finanzimperiums, wie ich das Dollar-System in meinem neuesten Buch Der Untergang des Dollar-Imperiums genannt habe.

Die wachsenden Probleme für die Herrschafts-Strategie der USA und der NATO in Eurasien – die sich in dem politischen Schlamassel in Afghanistan und Pakistan, den ungelösten Problemen im Irak und im Mittleren Osten sowie der Unfähigkeit, eine NATO-Mitgliedschaft Georgiens durchzusetzen, gezeigt haben – sind alles Anzeichen für den Verfall der Macht Amerikas. Wie das Römische Imperium im vierten Jahrhundert n.Chr. oder das Britische Empire nach 1873, so bricht auch das amerikanische Weltreich, ob es sich nun als Weltreich bezeichnet oder nicht, nicht durch äußeren Druck, sondern durch internen Zerfall zusammen. Das ist die grundlegende politische Herausforderung, die kein Präsident, schon gar kein so junger und in außenpolitischen Dingen unerfahrener Präsident wie der 45-jährige Barack Obama, erfolgreich lösen kann – es sei denn, er schraubt die Ambitionen Amerikas drastisch auf die einer verkleinerten Regionalmacht herunter. Damit bleiben aber nur Krieg oder der chaotische Kollaps der amerikanischen Wirtschafts- und Militärstrategie als wahrscheinliches Ergebnis in den kommenden Jahren.

Die Schizophrenie der Machtelite in der EU gegenüber dem offenkundigen Niedergang der USA wird noch deutlicher angesichts der gesetzmäßig wachsenden wirtschaftlichen und sogar militärischen Zusammenarbeit zwischen den aufstrebenden Mächten einer neuen Epoche – China und Russland in Eurasien und dem wachsenden Einflussbereich der Shanghai Cooperation Organization (SCO). Wie der sprichwörtliche Affe, der sich die Augen zuhält, um die Wirklichkeit nicht zu sehen, versucht die Machtelite der EU-Staaten bislang, diese strategische Realität auszublenden in der Hoffnung, sie dadurch zum Verschwinden zu bringen. Das aber kann und wird nicht geschehen. Somit bleibt Europa nur noch ein Weg: Die militärische und wirtschaftliche Abhängigkeit von der atlantischen Beziehung mit Washington zu verringern und die friedliche Zusammenarbeit mit den aufstrebenden Mächten in Eurasien – vor allem mit Russland und China – zu verstärken. Andernfalls wird Europa im Morast der Desintegration des amerikanischen Finanzsektors, des Subprime-Schwindels und Schulden-Bailouts, des Zerfalls der Gesamtwirtschaft und der folgenden strategischen Bedeutungslosigkeit versinken. Um diese Frage geht es wirklich bei den scheinbar so weit abgelegenen Entwicklungen in Georgien in diesen Tagen.

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