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Kolberg

 
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Störtebeker



Anmeldungsdatum: 14.05.2006
Beiträge: 1256

BeitragVerfasst am: Mi Okt 10, 2007 8:52 pm    Titel: Kolberg Antworten mit Zitat

In mancher Hinsicht bleiben Menschen Zeit ihres Lebens kleine Kinder: Das Verbotene reizt besonders. Ich weiß nicht, ob ich sechs oder acht Jahre alt gewesen war, als ich an der Zigarre meines Patenonkels einmal ziehen durfte. Es hat jedenfalls wunderbar gewirkt, ich bin noch immer Nichtraucher. Was immer verboten ist, hat seinen besonderen Reiz. Genau deshalb hat mich immer der Film “Kolberg” interessiert, den letzten Propagandafilm des untergehenden Dolfi-Reiches.

Ich kenne womöglich nicht die richtigen Leute, die sowas im Schrank haben, oder ich war zu faul, um auf die Jagd danach zu gehen. Aber ich bin sehr geduldig, und als eine mitfühlende Seele einen Link im Internet gesetzt hat, wo dieser Film zu sehen ist, haben vermutlich meine Augen freudig aufgeleuchtet und es wurde eine lange Nacht.

Ehe jetzt jemand denkt, ich hätte eine streng vertrauliche Seite des nationalen Widerstandes im nicht ganz so rigide kontrollierten Ausland aufgespürt: Der Film war bei Arte mitgeschnitten, in deutscher Sprache und mit französischen Untertiteln. Zwar nicht ARD oder ZDF, aber doch öffentlich-rechtlich und gebührenfinanziert.

Aus dem kleinen Kommentar am Rand habe ich erfahren, daß dieser Film 8,5 Millionen Reichsmark gekostet hat - also nach heutigem Geld 170 Millionen Euro - und der größte Film aller Zeiten werden sollte. Laut Gerüchten sollen zeitweise mehr Wehrmachts-Soldaten in historischen Uniformen in diesem Film gekämpft haben, als in zeitgemäßer Uniform an der Ostfront. Und es sollen weniger Leute den Film noch gesehen haben, als an der Produktion beteiligt waren.

Und natürlich: Es ist ein ganz mieser Propagandafilm, der den Durchhaltewillen der deutschen Bevölkerung bis zum letzten anstacheln sollte, um sie zur äußersten Opferbereitschaft zu bringen, im festen Glauben an den Endsieg.

Bevor ich kommentiere, möchte ich beschreiben, was ich gesehen habe: Der Veit-Harlan-Farbfilm ist ein gut gemachtes Historiendrama. Auch wenn darin genügend geschossen und gestorben wird, verzichtet er vollkommen auf den Blutkult, den Hollywood so gerne in Großaufnahme auf die Leinwand bringt. Er ist spannend und sehenswert, ohne herumfliegende Körperteile, ohne Blutfontainen aus Gewehrtreffern. Die Handlung steht im Mittelpunkt, die Dialoge sind wichtig, Gewalt und Blut sind nicht Selbstzweck, sondern Hintergrund. Kurz gesagt: Filmkunst statt trickreiche und gekünstelte Gewaltverherrlichung.

Der Film selbst beginnt im Jahr 1813, wo Bürger (und Bürgerinnen) im vollendeten Gleichschritt durch die Straßen von Breslau marschieren, um sich freiwillig zum Kampf gegen die Franzosen Napoleons zu melden. General Gneisenau bedrängt den preußischen König, die Volksmobilisierung zu genehmigen. Dabei kommen die beiden auf Kolberg zu sprechen, wo Gneisenau zugibt, daß nicht er der Held von Kolberg ist, sondern Joachim Nettelbeck, der Bürgermeister, der die Bürger zur Bürgerwehr organisiert hat und das Rückgrat des Widerstandes gewesen ist.

Dann blendet der Film zurück ins Jahr 1806, nach Kolberg. Preußen war gerade in Jena und Auerstedt von Napoleon vernichtend geschlagen worden, der erfreulich kleine Stadtrat hat eine Geheimdepesche darüber erhalten. Die Kolberger Miliz hält Waffenübungen, ein verwundeter Leutnant, der bei Jena und Auerstedt gekämpft hat, gibt Tips aus der Praxis, die nicht im preußischen Infanteriereglement stehen.

Als nächstes streiten Nettelbeck und der zaudernde Stadtkommandant Lukandu, während Nachrichten eintreffen, daß sich Magdeburg, Potsdam und Spandau kampflos ergeben heben haben. Sogar Blücher mußte mit 6000 Soldaten die Waffen strecken, während Kolberg gerade 2000 Soldaten und 5000 Milizionäre aufbieten kann. So feiert man ein bedrücktes Neujahr 1807.

Die Kolberger brennen bereits ihre eigenen Höfe ab, wenn diese dem Feind als Schanzen dienen können, der schneidige Leutnant, frisch zum Rittmeister befördert, unternimmt Husarenstückchen, um den anrückenden Franzosen ein paar Kanonen zu stehlen, während Nettelbeck von den Schweden weitere Kanonen beschafft hat. Schließlich soll Nettelbeck wegen seiner Differenzen mit dem Stadtkommandanten hingerichtet werden, er übergibt in der Todeszelle seiner Nichte einen Brief an den Preußenkönig, den selbige durch die französische Belagerung schmuggeln soll und in dem er um einen schneidigen, jungen und kampfbereiten Stadtkommandanten bittet. Und der in diesem Film recht unsympathisch wirkende Napoleon hat seinem General versprochen, ihn nach der Eroberung der kleinen Stadt zum Herzog von Kolberg zu ernennen.

Den Brief bekommt die legendäre Königin Louise übergeben, die ihn an ihren Mann weiterleitet. Der König schickt den schneidigen und blutjungen Major Gneisenau als neuen Stadtkommandanten, den sich Nettelbeck gewünscht hat. Als nächstes überfallen die Kolberger die zahlenmäßig weit überlegenen Franzosen, die immer mehr Truppen heranziehen, und erbeuten weitere Kanonen.

Die Kolberger fluten einen Vorort, wobei Hunderte Familien obdachlos werden, was sie aber nicht daran hindert, eigenhändig den Graben auszuheben und das einströmende Wasser zu bejubeln, das ihre Häuser überflutet. Ein französischer Parlamentär fordert Gneisenau zur Übergabe auf, doch der zeigt ihm die Bürger, die unbedingt weiterkämpfen wollen.

Gedreht wurde 1943 bis 45, als in der Zeit, in der tapfere britische und amerikanische Bomberbesatzungen bösartige Greise, Frauen und Kinder samt ihren Kranken- und Wohnhäusern ausradiert haben. Folglich beschießen die Franzosen ab sofort nicht mehr die militärischen Stellungen, sondern die Bürgerhäuser, die so schön brennen wie die deutschen Städte dieser Zeit. Auch das mit den geklauten Kanonen war damals aktuell, da wurden ganze Waffen-SS-Bataillone mit russischen Haubitzen ausgerüstet.

Während in Tilsit schon über den Frieden verhandelt wird, möchte der französische Oberkommandierende sich doch noch den Titel des Herzogs von Kolberg sichern und befiehlt einen Sturmangriff durch die Überflutungen, der verlustreich abgeschlagen wird. Dann hat der Kommandant der französischen Artillerie genug und läßt das Feuer einstellen - die Kolberger haben gewonnen.

Nach diesem Erfolg sind wir wieder im Jahr 1813, der König unterschreibt. Die Bürger marschieren im perfekten Gleichschritt durch Breslau und singen das, was Goebbels im Sportpalast gefordert hat: “Das Volk steht auf, der Sturm bricht los!”

Aus der heutigen Warte erkennt man natürlich ganz klar die Botschaft, die vermittelt werden sollte. Wer allerdings sein Geschichtswissen nicht ausschließlich aus ZDF-Dokumödien bezieht, weiß, daß so ein Wunder wie das im Film Kolberg im zweiten Weltkrieg nicht möglich gewesen war: Der Krieg wurde geführt, um Deutschland zu vernichten und so viele Deutsche umzubringen wie möglich. Kein Bomberpilot hat sich geweigert, wehrlose Städte zu zerstören, die offizielle Richtlinie lautete: Germany must perish - Deutschland muß vernichtet werden. Nicht Dolfi, nicht die Diktatur, nicht die NSDAP, sondern ganz Deutschland.

Betrachten wir die Aussagen des Filmes ein wenig genauer. Sicher, der Satz: Lieber tot unter den gefallenen Mauern von Kolberg begraben, als Untertan der Franzosen, verdient Anerkennung. Auf Plattdeutsch klingt das kurz und einprägsam: “Lewer tout as Slaw” - Lieber tot als Sklave. Auch die Aussage: Wir haben unseren Treueid bereits geleistet, auf den König von Preußen, deshalb schwören wir nicht auf den Kaiser von Frankreich, ist eindeutig.

Aber das sind Aussagen aus der Vergangenheit, als Ehre noch etwas gegolten hat. Heute bevorzugt man den Satz: “Was habe ich davon?” Kein einziger Toter in Magdeburg, dafür haben die ein paar Jahre “Vive la France!” gerufen, oder “Vive le Empereur!” Natürlich durften auch ein paar Magdeburger Napoleon 1812 auf seinem grandiosen Siegeszug nach Rußland begleiten, aber andernfalls wären die schon 1806 gestorben.

Der preußische König hat nicht etwa an der Spitze seiner Armee gekämpft, das hatten die Könige dieser Zeit längst nicht mehr nötig. Nur Napoleon… aber der war ein Usurpator, kein Herrscher von Gottes Gnaden. Er hatte sich nach Königsberg verzogen, weit weg von jedem Schuß und weit weg von seinen getreuen Kolbergern.

Für Ihre Standhaftigkeit büßten die Kolberger mit eigenhändig niedergebrannten Höfen, eigenhändig gefluteten Wohnhäusern, von Franzosen zerschossenen Gebäuden, einschließlich der Fenster ihres Domes. Die weibliche Heldin Marie hat ihr Heim, ihren Vater, ihren Bruder, ihren Jugendfreund und ihren Geliebten verloren, Nettelbeck sein Wohnhaus und seinen Besitz. Major Gneisenau hingegen, der von der Obrigkeit geschickte ortsfremde Kommandant, hat nichts verloren, sondern ist zum General und persönlichen Berater des Königs aufgestiegen, wohlversehen mit Orden und Ehrenzeichen.

Den Bürgermeister des gefügigen Magdeburg kennt niemand, Nettelbeck war mir als Name bekannt, auch wenn ich ihn nicht zuordnen konnte. Den Kolbergern ist ein wenig Nachruhm geblieben, während die Opportunisten ein gutes und ruhiges Leben hatten, haben die Patrioten ihren Besitz und ihr Leben geopfert, ohne dafür mehr zu erhalten, als den ominösen “Dank des Vaterlandes”.

Immerhin - die Kolberger haben durch diesen Film ihr Denkmal gesetzt bekommen, auch wenn der Film heute verpönt ist. Andere deutsche Volkssoldaten werden heute als Verbrecher verunglimpft, als Schergen eines mörderischen Regimes, als hirnlose Mörder, die Vollstrecker für “Führer, Volk und Vaterland”.

Was können wir aus “Kolberg” und der weiteren Geschichte lernen? Der damalige Preußenkönig war ein schwacher, unentschlossener Mensch, dessen Frau weitaus mehr verehrt wird als er selbst. Preußen hingegen war der effektivste, fortschrittlichste und freiheitlichste Staat, der je auf deutschem Boden existiert hat - das sage ich, als gebürtiger Franke und Bayer. Deshalb wurde das Preußentum von den Nationalsozialisten gekapert und von den Siegermächten verboten. Wenn das Opfer der Kolberger sich gelohnt hat, dann für diesen Staat, für die Ideale des Preußentums, für unbestechliche Beamte, für strenge, aber zugleich wohlwollende und gerechte Staatenlenker.

Die heutige Bundesrepublik des vereinten Deutschlands, abgekürzt DDR 2.0, trägt wenig bis gar nichts von diesem Staat in sich. Hier regieren Opportunisten, hier zählt nur, was ich von dem habe, was ich tue. Oder, um es mit einem abgewandelten Kennedy-Wort zu sagen: Frage immer, was dein Land für dich tun kann, bevor du etwas für dein Land tust. Heute kann man “Kolberg” beruhigt ausstrahlen, zur besten Sendezeit, im Staatsfunk, der Film würde nicht mehr verstanden werden. Wer sollte sich schon für eine Frau Merkel opfern? Ich bestimmt nicht! Ich habe einst als Soldat geschworen, die Bundesrepublik Deutschland tapfer zu verteidigen, doch ich bin längst ausgemustert und der Staat, dem ich das geschworen habe, existiert nicht mehr. Das Grundgesetz hat seinen eigenen Geltungsbereich gestrichen bekommen, unseren Staat sehe ich nicht wie Carlo Schmid als die “Organisationsform einer Modalität der Fremdbeherrschung”, sondern als die Organisationsform einer Modalität der Selbstbedienung.

Durchhalten und geduldig ertragen? Für die DDR 2.0? Nein! Womöglich wird “Kolberg” bald offiziell gesendet, als verzweifelte Maßnahme der Regierung. Aber dabei übersieht diese Regierung die zentrale Frage, die sie selbst so herausgestellt hat: Was habe ICH davon? Die Leute in Kolberg hätten das beantworten können; Goebbels hat gehofft, daß auch die Kinogänger von 1945 das noch wissen, aber heute? Was habe ICH von diesem zerfallenden Staat, der mich ausraubt und mir die Meinung vorschreibt?

Dieser Staat ist solche Opfer nicht wert. Er nimmt zu viel und gibt zu wenig.

Bleibt mir nur noch, den Link anzuführen, falls Sie sich selbst informieren wollen:
Kolberg
http://video.google.com/videoplay?docid=-4014496749646250441

Michael Winkler
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