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Antisemitismus als politische Waffe

 
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admin



Anmeldungsdatum: 22.07.2004
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BeitragVerfasst am: So Okt 08, 2006 7:03 pm    Titel: Antisemitismus als politische Waffe Antworten mit Zitat

Israel, Amerika und der Missbrauch der Geschichte

Ein Buch von Norman G. Finkelstein, Piper Verlag, München 2006, 387 Seiten

In Österreich und Deutschland wurde in den letzten Jahren zunehmend jeder, der den Terror Israels als Besatzungsmacht gegenüber den Palästinensern, die Menschenrechtsverletzungen oder den Bau der Apartheidmauer verurteilt und umgekehrt das legitime Recht der Palästinenser auf nationale Selbstbestimmung verteidigt hat, des Antisemitismus beschuldigt. Der Antisemitismus-Vorwurf wird als politische Waffe eingesetzt, um jede Kritik an und Auseinandersetzung um den zionistischen Staat Israel mundtot zu machen. Mit dieser Thematik setzt sich Norman G. Finkelstein im ersten Teil seines aktuellen Buches auseinander und gibt denjenigen eine politische Waffe in die Hand, die sich durch die Antisemitismuskeule nicht mundtot machen lassen wollen.
Edward Said sagte einmal, dass der palästinensische Kampf deshalb so schwierig sei, weil die Palästinenser Opfer von Opfern seien. Das ist der zentrale Ansatzpunkt für Finkelsteins These der Instrumentalisierung des Holocaust, um das zionistische Projekt mit all seinen Folgen zu rechtfertigen. Damit beschäftigte er sich schon in seinem Buch „Die Holocaust-Industrie“, bereichert diese These nun in diesem „mit einer Variante des Holocaust-Trumpfs: dem „neuen Antisemitismus“. Allerdings sind die Warnungen vor einem neuen Antisemitismus weder neu noch haben sie etwas mit Antisemitismus zu tun. Jedesmal, wenn Israel durch internationalen Druck dazu gebracht werden soll, seine Besatzungspolitik zu beenden, inszenieren diejenigen, die Israel blind gegen jede Kritik verteidigt sehen wollen, eine weitere, bis ins kleinste Detail durchkomponierte Oper, die den Zuschauern medienwirksam die erschrecklichen Ausmaße des weltweiten Antisemitismus vor Augen führen soll.“ (S. 45 f.)
Das Konstrukt des „neuen Antisemitismus“ wurde nach dem Oktoberkrieg 1973 von Forster und Epstein in ihrem Buch „The New Anti-Semitism“ auf den Punkt gebracht. Überlegungen oder gar Forderungen, Israel sollte sich aus dem Sinai zurückziehen und diplomatische Wege mit den Palästinensern suchen, wurden als „Feindseligkeiten“, die das „Herzstück des neuen Antisemitismus“ seien, interpretiert. Dieser wiederum speist sich laut Forster und Epstein aus der Tatsache, dass die Welt Juden nur solange dulde, als sie Opfer seien. „Wenn sich die Situation dahingehend verändert, dass sie nicht länger Opfer sind (oder es zumindest den Anschein hat, als seien sie es nicht mehr), nimmt die nicht-jüdische Welt daran dermaßen Anstoß, dass sie anfängt, die Juden erneut zu Opfern zu machen.“(S. 5Cool Interessanterweise ging dieses „neue Antisemitismus-Gespenst“ in den Siebzigerjahren gar nicht so sehr in Europa, sondern in den USA um, laut Forster und Epstein ausgehend von der „radikalen Linken“ (einschließlich religiöser Gruppen) – also von allen, die berechtigte Kritik und Besorgnis über die Aggressionspolitik Israels äußerten.
Während für Forster und Epstein die radikale Linke noch „eine mindestens ebenso große Gefahr für die Juden in aller Welt wie die Gefahr von rechts“ (S. 61) darstellten, wurde 1982 in „The Real Anti-Semitism in America“ von Nathan und Ruth Ann Perlmutter die gemäßigte Linke, bis weit in die politische Mitte hinein, zur größten Gefahr. Dabei ging es bei dem neuen „wahren“ Antisemitismus um jedweden Angriff auf jüdische Interessen, was konkret bedeutete um Israel, denn einen Unterschied zwischen Zionismus und Judentum gab es bei den „neuen Theoretikern“ nicht. „Dieser Antisemitismus müsse sich nicht einmal subjektiv gegen Juden richten – es reiche, dass er ihnen objektiv schade.“ (S. 62) Dazu kommt die Warnung, dass sich dieser Antisemitismus zum klassischen entwickeln könne, wenn er nicht in jedweder Form unter Kontrolle gehalten werde.
Wie wenig dieser „neue Antisemitismus“ der Linken mit Antisemitismus zu tun hat, belegen die Perlmutters selber, die „der christlichen Rechten – die sich zwar in antijüdischer Bigotterie gefiel, aber „pro“-israelisch eingestellt war – gegenüber dem liberalen Protestantismus den Vorzug gaben. Letzter war zwar frei von antijüdischer Bigotterie, galt aber als „anti“-israelisch.“ (S. 67)
Finkelstein setzt sich weiters mit den neuesten Entwicklungen auseinander, wo auf die Unterscheidung zwischen „wahrem, neuem“ und „klassischem“ Antisemitismus verzichtet wird. Mittlerweile handelt es sich bei Israels Kritikern einfach nur um klassische Judenhasser. Abraham Foxman, Chef der Anti-Defamation League, sagt im Jahr 2003: „Wir sehen uns heute mit einer Situation konfrontiert, in der die Sicherheit des jüdischen Volkes genauso stark bedroht ist wie in den 1930er Jahren – wenn nicht noch stärker.“ (S. 53) Foxman warnt davor, dass das Überleben des jüdischen Volkes schon wieder konkret in Gefahr sei. Phylis Chesler führt in „Der neue Antisemitismus“ aus, dass unter der „gegenwärtigen Belagerung“ nicht etwa die Palästinenser leiden; „die Opferrolle kommt allein Israel (und Juden) zu.“(S. 72) Und laut Ruth Wisse, die an der Harvard Universität lehrt, ist „verglichen mit dem Antisemitismus der Nazis, die arabische Spielart schlimmer.“ (S.102)
Hier wird alles durcheinander gemischt, denn es geht ja nicht um irgendeine fundierte Analyse sondern lediglich darum, dass Kritik an Israel oder der Kampf der Palästinenser um ihr Überleben als Anzeichen für die Bedrohung des Judentums oder der Juden der Welt interpretiert wird. Die Einfachheit des Musters scheint unglaublich, ist aber auch erschreckend, da sie oft ihre Wirkung nicht verfehlt.
Die Protestbewegung gegen den Irakkrieg der USA wird beschuldigt, „sie vertrete einen „Antisemitismus“, von dem man dachte, dass er im Westen längst nicht mehr existierte.“ (S. 8Cool Man rufe sich die Situation vor Augen – der westliche Kreuzzug des amerikanischen Imperiums ist auf seinem Höhepunkt, Muslime in Europa und den USA werden verfolgt, Israel festigt im Schatten der globalen Ereignisse seine Stellung in den besetzten Gebieten!
Weiters bezieht sich Finkelstein auf Alan M. Dershowitz, dessen „Plädoyer für Israel: Warum die Anklagen gegen Israel aus Vorurteilen bestehen.“, im März 2005 im Europa Verlag deutschsprachig erschienen ist. Er behauptet unter anderem, dass „der internationale Menschenrechtsschutz und die Menschenrechtsrhetorik zu wirksamen Waffen geworden sind, die selektiv gegen Israel eingesetzt werden.“ (S. 89) Folgerichtig verlangt Dershowitz, internationale Gesetze und Konventionen wie „die Genfer Konvention“ sollten geändert werden, damit zum Beispiel Kollektivstrafen wie Zerstörung von Dörfern oder gezielte Tötungen mit so genannten Kollateralschäden als moralisch durchaus gerechtfertigte Methoden Israels anerkannt werden könnten. Denn es sollte alles erlaubt sein, wenn es um die Sicherheit Israels gehe.
Um angesichts der Tatsachen - der rassistische, militärisch hochgerüstete Staat Israel betreibt die Vernichtung der Palästinenser – trotzdem das Bild der ständigen Bedrohung Israels zu zeichnen und seine Vorzugsbehandlung international einzufordern, wird laut Finkelstein einerseits die Einzigartigkeit und die universelle Bedeutung des jüdischen Schicksals hervorgehoben. „Alles an den Juden ist einzigartig: der Antisemitismus, der Holocaust, Israel, die jüdische Nation, das jüdische Volk…“ (S. 109) Andererseits werden Judentum und Zionismus völlig gleichgesetzt, damit auch wirklich jede Kritik an Israel mit der Antisemitismuskeule erschlagen werden kann.
Allen denjenigen, die die hasserfüllten Antisemitismusvorwürfe im Zusammenhang mit jeder Kritik an Israel oft nicht nachvollziehen können, wird dieses Buch hilfreich sein, um diese Angriffe zu verstehen. Die Lehrmeister der hiesigen Verteidiger des Zionismus sind in den USA zu finden, ausführlich besprochen in Finkelsteins Buch. Der zweite Teil des Buches – eine detaillierte Besprechung der Menschenrechtsverletzungen Israels in den letzten Jahren – besticht nicht nur durch seine Genauigkeit und Ausführlichkeit sondern soll auch als Aufforderung gelesen werden, dem theoretischen ersten Teil praktische Schritte folgen zu lassen - gegen die Vernichtungspolitik Israels gegenüber den Palästinensern.

Elisabeth Lindner-Riegler

Entnommen: Bruchlinien - Zeitschrift für eine neue revolutionäre Orientierung
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