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Neues Proletariat - Von Damiano Valgolio

An der Pariser Sorbonne mischt sich der Qualm der starken Gauloises wieder mit beißendem Tränengas. Es riecht nach Revolte. Der Aufstand der französischen Studenten gegen die Abschaffung des Kündigungsschutzes für junge Beschäftigte weckt Erinnerungen an den Mai 1968. Doch bürgerliche Kommentatoren spotten: Während '68 noch für die große Befreiung und den weltweiten Umsturz gekämpft wurde, sollen diesmal bloß Privilegien verteidigt werden. Das sei eine konservative, ja rückwärtsgewandte Revolution.

Tatsächlich geht es diesmal um weniger als damals. Und gerade deshalb geht es um viel mehr. Vor 40 Jahren entzündeten sich die Jugendproteste an einer Regelung, die es den Studenten verbot, die Nacht in den streng abgeschirmten Wohnheimen ihrer weiblichen Kommilitonen zu verbringen. Heute ist das erlaubt. Doch immer mehr junge Franzosen fehlt einfach die Zeit. Sie liegen nachts nicht im Bett, sondern stehen bei McDonalds hinter der Theke. Sie arbeiten und können sich trotzdem nichts leisten, weil sie nur Hungerlöhne verdienen.

Die soziale Frage ist ins Zentrum getreten. Das macht die Ereignisse in Paris und Hunderten anderen Städten so explosiv. In neoliberalen Zeiten ist schon die Verteidigung von Errungenschaften radikal – tausendmal radikaler als es Daniel Cohn-Bendit je war. Durch das CPT-Gesetz der Rechtsregierung von Premierminister de Villepin droht jungen Beschäftigten in Frankreich ein Leben auf der Falltür. Prekäre Arbeitsverhältnisse, ohne Kündigungsschutz, angemessene Bezahlung und soziale Sicherheit. Schüler und Studenten verlieren die Hoffnung auf ein einigermaßen gutes Leben nach dem Studium. Die Proletarisierung der Mittelschichten bringt eine neue gesellschaftliche Gruppe hervor: Das Prekariat.

Anders als in Deutschland können Frankreichs angehende Akademiker nicht mit der Illusion ruhig gehalten werden, später einen der wenigen Spitzenjobs zu ergattern. Denn dort wird die Elite für Wirtschaft und Verwaltung längst in grandes écoles herangezogen, streng von den Massenuniversitäten abgetrennte Nobelhochschulen. Daß tatsächlich mehr Jugendliche Arbeit bekommen, wenn sie leichter rausgeschmissen werden können, glaubt wohl nicht einmal Premier de Villepin. Es ist die zynische Antilogik der Neoliberalen: Man muß den Menschen nur genügend wegnehmen, damit es ihnen irgendwann besser geht.

In Frankreich sollte diese Argumentation nicht zuletzt die Studenten gegen die arbeitslose Vorstadtjugend ohne Abschluß ausspielen. Derzeit scheint jedoch das Gegenteil zu passieren: Die marginalisierten Banlieusards beteiligen sich an den Protesten gegen das CPT-Gesetz. Subproletarier aus den Trabantenstädten demonstrieren mit den Neoproletariern aus den Hörsälen. Das junge Prekariat organisiert sich landesweit. Die besten Eigenschaften der Arbeiterbewegung kommen zum Vorschein. Eine neue Arbeiterbewegung.

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